Laudes. Die benediktinischen Regeln lullen mich ein. Geben dem Tag Struktur. Frühstück.
Klassische Musik. Ich bleibe bis niemand mehr im Frühstücksraum ist und schaue aus dem Fenster. Das Fenster scheint hoch über dem Berg zu schweben. Dabei sind wir im Keller. Es ist hoch oben in der Mauer eingebaut. Ich schaue auf den Weg, den ich täglich gehe. Später werde ich versuchen das Fenster von außen zu lokalisieren. Was hat diese starke Wahrnehmung des Fensters mit meinem spirituellen Weg zu tun?
Stillegebet. Heute bin ich ehrgeizig. Ich will zwei Mal eine Stunde meditieren. Einfach mal probieren wie das ist. „Um Gottes Willen“, wird der Exerzitienbegleiter am Nachmittag sagen. „Das habe ich ja noch nie gemacht.“
Eucharistie. Mittagsgebet. Mittagessen. Mittagsschlaf.
Ich wache wieder früh auf. Draußen ist was los. Ich schaue aus dem Fenster. Eine Hochzeit.
Ich gehe nach unten und am Haupteingang hinaus auf den Hof, dann die Stufen zur Abteikirche hoch, die sich majestätisch neben dem Exerzitienhaus erhebt. Drinnen herrscht gähnende Leere. Aber ich höre etwas. In der Kirche führt eine Treppe hinunter in die Krypta.
Aber als ich unten ankomme, stehe ich vor einer verschlossenen Holztüre. Dahinter, ich höre es deutlich, findet die Hochzeit statt. Aber, es gibt noch einen Nebeneingang. Geschwind hüpfe ich die Treppe hinunter und schlüpfe durch den Eingang und komme gerade zurecht als das Brautpaar sich das Eheversprechen gibt.
Ich kehre ins Edith-Stein-Haus zurück und gehe zur Stillezeit in die Kapelle. Eine Stunde. Diesmal vor der Ikone der Gottesmutter Maria. Ein besonderes Bild: eine sehr politisch engagierte Gottesmutter. Interessant. Was hat dieses Frauenbild mit mir zu tun? Welches Frauenbild habe ich überhaupt?
Nach der zweiten Stunde bin ich sehr entspannt und nutze die Zeit bis zum Einzelgespräch zu einem Besuch in der Bibliothek. Irgendwie entdecke ich sie erst heute. Sie liegt der Kapellentür quasi direkt gegenüber, wenngleich man auch noch das Treppenhaus durchqueren muß, also am Aufgang zum zweiten Stock, wo sich unser Exerzitienraum befindet.
Ich öffne die Tür. Der Raum ist schmal und lang. Die Fenster sind in hellen Regalen den Fenstern gegenüber untergebracht. Der Raum ist durch die vier sich aneinanderreihenden Fenster schön hell. Auch hier laden zwei schwarze Sesseln zum Verweilen ein. Die Lektüre besteht in erster Linie aus theologischen Werken. Ich finde einen sehr hübschen Bildband über Teresa von Avila. Darin ist auch ihre schlichte (aber geschmackvolle) Klosterzelle abgebildet. Das Foto fasziniert mich. Ich bringe den Bildband in mein Zimmer.
Im Einzelgespräch spreche ich über meinen (spirituellen) Weg.
Nach dem Gespräch mache ich noch einen kleinen Rundgang und wir treffen uns wieder zur Vesper.
Dann zum Abendessen. Ich weiß jetzt wohin das Fenster führt und ich habe es mir auch von unten angesehen. Wenn ich an der Mauer hochschaue, wirkt es wie ein Verließ.
Nach dem Abendessen breche ich zu einem längeren Spaziergang auf. Ich will lernen, mich führen zu lassen. Ich folge der Straße, die den Berg hinunter in die Stadtmitte führt. Aber ich mag den Berg nicht verlassen. Morgen ist früh genug. Ich entdecke den Rosengarten. Ich denke an eine Schallplatte, die ich als Kind oft gehört hatte: „Das Rosenresli“. Ein Kind, das zusammen mit seinem Mütterlein lebte. Beide waren sehr arm. Das Kind bekam in der Nachbarschaft fast verblühte Rosen geschenkt, um sie zu verkaufen. Sie gab das Geld der Mutter, von der in der Geschichte immer als „Sorgenmutter“ die Rede ist. Diese kauft davon Brennholz.
Der Rosengarten ist prächtig. Ich gehe weiter um den Berg herum und komme in den Wald. Ein Zauberwald, so scheint es mir. Ein Märchenwald.
Erst wird es dunkler, weil der Wald dichter wird, dann erscheint vor mir ein Torbogen in der Mauer. Ich schreite hindurch und stehe auf einer Lichtung, die einen weiten Blick über Wiesen und Felder bis hin zum Siebengebirge frei gibt. Ich nehme einen Augenblick auf der Bank Platz.
Wenn dieser Weg symbolisch für meinen Lebensweg ist, was heißt das dann? Bin ich auf dem Zenit des Lebens? Je mehr ich schweige, je mehr ich meditiere, um so mehr erscheint mir alles, was ich tue als Teil meiner Spiritualität. Vielleicht ist das die Wahrheit.
Ich gehe weiter. Der Weg führt noch etwas weiter hinauf. Und dann erreiche ich über ein paar Stufen den Klostergarten und meinen Sandweg vom Vortag, der entlang der Mauer verläuft. Trotz des Zaubers der Lichtung fühle ich mich hier oben wohler. Nein, ich habe noch nicht alles erreicht. Teresa von Avila ist der festen Überzeugung, dass wir, je älter wir werden, umso vollkommener werden. Abenteurerin Teresa! Ich bin ganz Deiner Meinung. Und ich bin noch so unvollkommen.
Komplet.
„Je mehr ich schweige, je mehr ich meditiere, um so mehr erscheint mir alles, was ich tue als Teil meiner Spiritualität. Vielleicht ist das die Wahrheit.“
Sehr schön!
Ich wäre zu gerne auf dieser Lichtung. Das klingt magisch!
Ich habe mich über Deinen Kommentar gefreut, Ilona. Danke! Ich glaube, es ist so eine Mischung aus innerem und äußerem Erleben, was die Magie ausmacht. Ich erlebe es immer besonders stark in der Natur. Und je stiller es ist, umso intensiver. Die innere Lichtung zu behalten, ist wohl die wahre Kunst 🙂