Migrationspolitik in Europa

Passat, Lübeck-Travemünde

Wie wir in Europa den aktuellen Zuwanderungsstrom bewältigen, hat auch etwas mit der Frage zu tun, wie schnell es uns gelingt, die soziale Arbeit so zu organisieren, dass sie zu den aktuellen Entwicklungen passt. Ein paar Überlegungen zu dem Thema:

  1. Warum Zuwanderungsströme Europa gute Chancen bieten.
  2. Warum Migration und Inklusion jetzt (endlich) zu einer gemeinsamen (europäischen) Sache werden müssen.
  3. Was die soziale Arbeit von Internetaktivisten lernen kann.

Wenn einer eine Reise tut, kommt es manchmal anders als man denkt. Oder passieren Ereignisse, die Dich nachdenklich werden lassen. Unsere Rundreise durch Südschweden, Kopenhagen und Lübeck fällt genau in die Zeit als die Zuwanderungsströme der Europäischen Union vor Augen führen, dass dringender Handlungsbedarf ist.

Wir sind das freie und offene Europa so gewohnt, dass es uns kaum in den Sinn kommt, dass wir Grenzen überschreiten, wenn wir von einem Land ins andere reisen. In Schweden und Dänemark fällt immerhin auf, dass wir Geld umtauschen müssen. In drei Tagen bezahlen wir mit drei verschiedenen Währungen. Ist das denn wirklich heutzutage noch nötig, fragt man sich.

Aber so selbstverständlich wie es uns scheint, ist das freizügige Europa in diesen Wochen gar nicht. Der Geist, den die Gründerväter zur Wirtschafts- und später zur Währungsunion bewegte, scheint ein klein wenig verweht zu sein. Die Wirtschafts- und Finanzkrise hat uns das deutlich vor Augen geführt. Und auch das nächste ureuropäische Thema, die Migrationspolitik, zwingt zu dringendem Handeln. Hätte natürlich schon viel früher geschehen können. Die Europäische Union braucht Standards in der Flüchtlingspolitik.

Während wir reisen, transportiert der ungarische Staatschef Flüchtlinge auf schnellstem Weg in andere Länder, in die Länder, in die sie gehen möchten, weil sie Arbeit und Auskommen erhoffen und sich in manchen Ländern willkommener fühlen als in anderen. Deutschland zum Beispiel, Österreich und auch Schweden. Wer durch Schweden reist, kann das

Wachturm bei Dassow Ehemaliger Wachturm an der deutsch-deutschen Grenze bei Lübeck

ein wenig nachvollziehen. Knapp 10 Mio. Einwohner/innen bei rund 450.000  ㎢  und damit nur 21 Menschen auf 1 ㎢. Zum Vergleich: In Deutschland sind es 226 Menschen. Als wir Kopenhagen erreichen, ist Dänemark kurz davor, den Bahnverkehr zwischen Hamburg und Kopenhagen einzustellen. Später passiert dies tatsächlich. Und auch in Österreich und  Deutschland. Am Ende unserer Reise wird in Ungarn ein Stacheldraht errichtet. Zu dem Zeitpunkt sonnenbaden wir auf dem Priwall, dem Strand, der fast dreißig Jahre Grenzgebiet war und ein Land, ja einen Kontinent, in zwei Teile teilte.

Was nur ist los mit Dir, Europa?

Zuwanderungsströme sind Europas Chance.

Was für uns heute selbstverständlich ist, Freizügigkeit, offene Grenzen und friedliches Zusammenleben darf nicht gefährdet werden. Gleichzeitig zeigt die momentane Situation aber auch, dass das nationalstaatliche Denken deutlich dominiert. Die Finanz – und Wirtschaftskrise hat hierzu sicher beigetragen. Die Europäische Union hätte viel früher den nächsten Schritt zu einem politisch vereinigten Europa machen müssen. Dann wären nicht nur einige Leuchtturmprojekte zu erkennen, sondern auch eine gemeinsame Strategie in zentralen europäischen Fragestellungen.

Jetzt ist die Zeit gekommen, sich gemeinsam über erfolgreiche Migration in Europa zu verständigen. Wie zurecht in diesen Tagen immer wieder gesagt wird, das kann ein Land alleine nicht tun. Es müssen Zugänge geschaffen werden

  • zu Wohnraum
  • zu existentiellem Auskommen
  • zu Bildung
  • zu Arbeit.

Hier braucht die europäische Union eine gemeinsame Strategie, damit dies in jedem europäischen Staat erfolgreich geleistet werden kann. Ein Umdenken ist erforderlich.

Wir sitzen alle in einem Boot.

Auf dieser Reise, rund um die Ostseeländer, sind wir viel mit dem Boot unterwegs. Winzige Fährboote, riesige Transportschiffe. Miteinander in einem Boot zu sitzen, birgt eine gewisse Unsicherheit, wer sollte das in diesen Tagen besser wissen als die Menschen selbst, die mit Booten ihre riskante Flucht gewagt haben. In Europa sitzen wir schon lange alle in einem Boot. In den fünfziger Jahren haben wir uns dazu entschieden. Es ist keine Sache einiger weniger Politiker/innen.

Gerade die Erstaufnahme der neuen Zuwanderer ist in diesen Tagen von besonderer Bedeutung. Aber genauso wichtig ist der zweite Schritt. Was passiert danach? Auch hier haben sich schon eine Reihe interessanter Modelle und Projekte entwickelt. Dabei ist es wichtig, dass es nicht bei Projekten bleibt, sondern, dass es zu Verstetigungen und auch Veränderungen des Bisherigen kommt.  Zu einer gelungenen Integrationsaufgabe gehört ein breites Verständnis von Inklusion. Inklusion muss die Erhöhung der Teilhabe Chancen aller Menschen sein. Interessanterweise zeigt sich gerade beim Thema Bildung, dass das Miteinander eine Bereicherung bedeutet. Beispiele wie  Gemeinsam in der Schule und Syrische Flüchtlinge retten Schule zeigen dies. Bildungs- und Wohlfahrtsorganisationen sind in diesen Tagen wichtiger und notwendiger denn je, denn sie bieten verlässliche Ablaufstrukturen, die Sicherheit geben. Und dennoch sind sie auch gezwungen, sich zu wandeln, um auf die Herausforderungen reagieren zu können.

Was kann hier förderlich sein:

  • weltoffene, kultursensible Mitarbeitende
  • ein kluges Verständnis von europäischen Zusammenhängen
  • Inklusionssensibilität, also Menschen, die auf Gruppendynamiken zu reagieren wissen
  • Flexible und kreative Bildungssysteme

#bloggerfuerfluechtlinge und #rn8

Ich habe auf dieser Reise ein unerträglich langsames Internet gehabt. Der alte Balken baute sich so langsam oder gar nicht auf, dass ich mich in die 90er Jahre zurück versetzt fühlte. Von daher habe ich das Bloggen zeitweise eingestellt und konnte auch nur ab und an etwas in den sozialen Netzwerken posten. Aber eine Aktion, an der ich als Bloggerin mit meinem Blog Reisekladde schon länger mal teilnehmen wollte, die sogenannte #rn8 – (Reisenacht), habe ich mitbekommen. Diese kurzweilige und wirkungsvolle Initiative besteht darin, montags zwischen acht und neun Uhr abends zu einem bestimmten Reisethema zu twittern. An besagtem Montagabend hatte sich die Initiative dazu entschlossen, jeden Tweet mit 10 Cent zu hinterlegen und der Internetinitiative #bloggerfuerfluechtlinge zur Verfügung zu stellen. Eine tolle Aktion, an der ich – eingschränkt – auch teilnehmen konnte.

Abgesehen von dieser guten Sache habe ich hierdurch viel darüber gelernt, wohin sich die soziale Arbeit entwickelt:

  • Menschen schließen sich zu einem Thema zusammen.
  • Der Mensch ist gefragt, nicht die Organisation.
  • Die unmittelbare praktische Hilfe zählt.
  • Die Kommunikation ist leicht, fröhlich, unkompliziert und hierarchiefrei.
  • Interessen verknüpfen sich.

Diese Maximen machen sich eben auch nicht nur im Internet breit, sondern sind schon längst Teil einer neuen Jugendkultur, die auch für ein zusammenwachsendes Europa die besten Chancen bietet. Meine Hoffnung ist, dass Programme wie Erasmus ihren Beitrag dazu geleistet haben, dass junge Menschen nur noch kopfschüttelnd die Politik der Älteren betrachten und unkompliziert ihren Weg miteinander suchen.

Infos zum Thema

Erklärvideo zur Syrienkrise & EU-Politik

Wie geht eigentlich ein Asylverfahren – Infografik.

Aktion Neue Nachbarn

Fünf der innovativsten Flüchtlingsprojekte

Magdas Hotel – Arbeitsplätze für Flüchtlinge

Flüchtlingsarbeit & Jugendhilfe – Soziale Arbeit neu herausgefordert.

Dublin Verordnung der Europäischen Union sieht vor, dass Asylbewerber/innen in dem Land das Asylverfahren durchlaufen, in dem sie erstmalig angekommen sind.

Shengen Abkommen – Reisefreiheit für EU-Bürger innerhalb Europas.

Daten und Fakten über Länder der Europäischen Union. 

Priwall Strand, Lübeck-Travemünde. Hier verlief die Grenze zwischen DDR und BRD: Priwall-Strand bei Travemünde.

Zum Weiterlesen: Flüchtlingsarbeit & Jugendhilfe

5 Kommentare zu „Migrationspolitik in Europa

  1. Hat dies auf Reisekladde rebloggt und kommentierte:

    Bevor ich über alle die schönen Reiseerlebnisse unserer Ostseerundreise blogge, möchte ich Euch über ein Thema erzählen, was mich auf dieser Reise ziemlich beschäftigt hat. Es geht um freizügiges Reisen und Europa. Und mich beschäftigt dabei auch die Frage: wie politisch soll ein Reiseblogger eigentlich sein? Was denkt ihr darüber?

  2. Eine Arbeitskollegin äusserte letzte Woche klare Worte: „Wenn wir schon dabei versagen behinderte, kranke und Menschen über 50 in den Arbeitsmarkt zu integrieren, wie um willen wollen wir diese Menschen integrieren?“
    Ja stimmt, aber: Im Moment brauchen diese Leute einfach Obdach. Danach muss geschaut werden. Aber hier in der Schweiz muss massiv etwas ändern, sonst bleiben die ewig von Sozialhilfe abhängig, das ist auch für die Flüchtlinge nicht gut.

    1. Ja, es ist wichtig, dass die Integration vor allem in Bildung und Arbeit zügig geschieht. Sonst droht die Gefahr des Verbleibs in Sozialhilfe. Das ist jetzt die Höhe Kunst der Strategie.

  3. Liebe Sabine, danke dir für diesen wieder mal tollen Artikel, der die Situation ziemlich passend auf den Punkt bringt. Aktuell können wir (Deutschland) mit dem groben Werkzeug Vorgehen, Unterbringung organisieren, Kleider spenden und den Menschen mit einer „Willkommenskultur“ begegnen. Die Herausforderungen stehen damit aber erst an, um die Herausforderungen zu wirklichen Chancen für Europa werden zu lassen. Und dabei kann die Soziale Arbeit eine wesentliche Rolle spielen. Ich bin gespannt…

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