Für eine gute Zukunft der Kinder- und Jugendhilfe Sommerserie: #SGBVIII-Reform

Ein Thema, das schon seit Monaten durch die soziale Arbeit geistert: Die SGB VIII Reform.

Was verbirgt sich hinter dem Rechtsbegriff? Möglicherweise ein Paradigmenwechsel in der Kinder- und Jugendhilfe, der Auswirkungen auf unser gesamtes gesellschaftliches Gefüge haben wird.

Wenn es gut läuft, wird es eine Weiterentwicklung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes, das vor 25 Jahren einen Paradigmenwechsel einläutete: Keine Separation mehr von vermeintlich abnormen Kindern und Jugendlichen und „normalen“ Kindern und Jugendlichen wie es das alte Jugendwohlfahrtsgesetz noch vorsah, sondern eine inklusive Kinder- und Jugendhilfe, die jedes Kind und jeden Jugendlichen als einzigartig ansieht und fördert.

Alle Kinder und Jugendliche? Nein. Kinder mit körperlicher und geistiger Behinderung nicht. Und das soll sich jetzt ändern.

Klingt ziemlich idealistisch? Ist es auch. Daher ist auch soviel Vorsicht geboten.

Warum jetzt diese Reform?

Eigentlich ist doch alles gut. Das Kinder- und Jugendhilfegesetz in Deutschland ist, besonders im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, ein Erfolgsmodell.
Das europäische EU-Ausland kennt ein solches System, wie wir es in Deutschland haben, gar nicht. Bislang spielt Kinder- und Jugendpolitik in der EU kaum eine Rolle. Es gibt höchstens angrenzende Politikfelder wie Migration, Bildung oder EU-Politik für Menschen mit Behinderung. Es sei denn, es geht um wirtschaftsnahe Themen wie Jugendarbeitslosigkeit.
Und gerade hier zeigt sich, was ein gelungenes Kinder- und Jugendhilfesystem gesamtgesellschaftlich und volkswirtschaftlich bewirkt. Deutschlands Jugendarbeitslosigkeit liegt mit 7.2 % auf dem zweitniedrigsten Platz – gleich hinter Malta.

Anlass für diese Reform sind verschiedene Themen, die seit längerem in der Kinder- und Jugendhilfe diskutiert werden.

Die UN-Behindertenrechtskonvention (2006)

Seit der UN-Behindertenrechtskonvention wird in Deutschland unter dem Stichwort zunächst „Große Lösung“ später „Inklusive Lösung“ diskutiert wie die Sozialsysteme für Kinder- und Jugendliche mit und ohne Behinderung zusammen geführt werden können.

Bundeskinderschutzgesetz (2012)

Die Ende der 2000er aufgedeckten Missbrauchsfälle in Schulen, Heimen der Erziehungshilfe und psychiatrischen Kliniken aus der Vergangenheit und heute führten zur Einführung eines neuen Kinderschutzgesetzes in 2012.

14. Kinder- und Jugendbericht (2013)

Der 14. Kinder- und Jugendbericht zeigt 2013 erstmalig auf, dass die Schere zwischen armen und reichen Kindern und Jugendlichen in Deutschland deutlich auseinander klafft und insgesamt 25% drohen abgehängt zu werden, da ihre sozialökonomische Situation ihre Bildungschancen mindert. Jeder dritte junge Mensch kommt aus einem Elternhaus, das entweder von Armut bedroht ist, in dem die Eltern keiner Er-
werbstätigkeit nachgehen oder aber selbst keine ausrei-
chenden Schulabschlüsse vorweisen können.

1 Mio. junge Menschen beanspruchen Hilfen zur Erziehung (2014)

Ein kleiner Exkurs: Als 2003 die Zusammenlegung der Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe erfolgte, (warum erinnert mich diese Gesetzesreform nur immer wieder an die Aktuelle?), die sich sehr an der britischen Arbeitsmarktreform orientierte, wollte man in der Politik Hinweise nicht hören, dass die dortige Reform zu einem Anstieg der Armutsquote auf 20% geführt hatte.

Knapp neun Jahre später erleben wir einen deutlichen Anstieg der Ausgaben in der Jugendhilfe und damit verbunden einen Anstieg der Hilfen zur Erziehung. 60% der Familien, die Hilfen zur Erziehung in Anspruch nehmen, beziehen Transferleistungen. Ein Schelm, der einen Zusammenhang sich dabei denkt!

Natürlich ist da ein Zusammenhang: die massiven Kürzungen in der Arbeitsmarktförderung haben dazu geführt, dass viele Familien in Deutschland, insbesondere auch Alleinerziehende, ihren Weg in ein sozial-ökonomisch stabiles Leben nicht finden konnten und ihre Kinder abgehängt wurden. Sie tauchen jetzt im 14. Kinder- und Jugendgericht wieder auf und im Jugendhilfebudget der Kommunen.

Weiterentwicklung der Hilfe zur Erziehung

Unter diesem Stichwort wird im Rahmen der Jugendminister/innenkonferenz der Länder schon länger diskutiert. Manche fragten sich, warum ist eine Weiterentwicklung nötig. Und zurecht kam auch die Frage auf, ob diese Weiterentwicklung nicht rein fiskalischer Motivation sei.

Es wird gut, wenn wir aus alten Fehlern lernen.

Umbau braucht Zeit. Gesetzesvorhaben brauchen Zeit.

Die Jugendämter sind aktuell noch dabei die Flüchtlingsströme zu bewältigen und sollen jetzt schon Inklusion umsetzen. Okay, es ist geplant, dass erst 2023 alles in trockenen Tüchern sein muss. Aber vorher ist eine fünfjährige Umbauphase eingeplant. Wir wissen ja alle, dass damit der Startschuss gegeben ist und auch eine Zeit der Unwägbarkeit beginnt.

Ein Gesetz lässt sich nicht in der Nacht stricken. Schon gar nicht in der Weihnachtsnacht. So geschehen 2002 mit der Arbeitsmarktreform.

Was zeichnet sich jetzt schon positiv ab?

Grundsätzlich ist die Reform zu begrüßen. An einer inklusiven Lösung für alle Kinder- und Jugendlichen zu arbeiten, ist das Gebot der Stunde und dazu gehört auch die Zusammenführung der Leistungssysteme in einem Gesetz.

Es zeichnet sich ab, dass die Übergänge zur Verselbständigung für sogenannte „Careleaver“ verbessert werden sollen, dass der Kinderschutz durch eine qualifizierte Vernetzung sicher gestellt wird, dass Pflegekinder und Pflegeeltern besser gefördert werden und die Ombudschaft und Einbeziehung der Kinder und Jugendlichen gestärkt wird. Nichtzuletzt ist auch die Medienbildung und Medienkompetenz endlich anerkannte Aufgabe der Jugendhilfe.

Allerdings muss bei der ganzen Reform das Kindeswohl auch tatsächlich im Fokus stehen. Und nicht fiskalische Gründe. Hier reichen Studien, Evaluationen und Theorien nicht aus, sondern es muss in der Praxis für die Betroffenen, die Jugendämter, die Eltern und die sozialen Dienste tauglich sein.

Die Kinder- und Jugendhilfe ist ein Garant für den sozialen Zusammenhalt in Deutschland. Hier zu sparen, hätte fatale Auswirkungen.

Weiterführende Informationen:

Beschlüsse der Jugendminister/innenkonferenz

Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe (AGJ)

Monitor Hilfen zur Erziehung 2016

Ombudschaft NRW

Deutschlands größte Sozialreform – eine Dauerbaustelle

Beschäftigung: Das Reform-Monster

 

 Teil 2: Starke Rolle der Jugendämter im Sozialraum

 

 

 

 

 

 

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