Die neue Koalition hat einen Vertragsentwurf vorgelegt, der jetzt noch von den Parteitagen abzustimmen ist. Es ist jedoch kaum davon auszugehen, dass es hier noch zu großen Überraschungen kommt. Armin Laschet wird am 27. Juni zum Ministerpräsidenten gewählt werden und die Ministerien werden gemäß der verabredeten Vorschlagsrechte (FDP: Familie, Schule, Integration, Wirtschaft und Digitalisierung; CDU: Finanzen, Arbeit, Gesundheit, Inneres, Justiz, Umwelt, Landwirtschaft, Verkehr, Bau, Wissenschaft, Kommunales, Bundes- und Europaangelegenheiten) besetzt werden. Die wenigen Ministerinnen werden sich um Familie, Schule und Umwelt kümmern, die Minister um die restlichen Themen.
Da sich dieses Blog im Schwerpunkt mit dem digitalen Wandel (in der sozialen Arbeit) befasst, ist grundsätzlich zu begrüßen, dass das Thema Digitalisierung als Querschnittsthema nicht nur im Blick, sondern mit Strategien hinterlegt, ist.
NRW war auch bereits unter der Vorgängerregierung Vorreiter bei diesem Thema. Der erste Kongress zum Thema dieser Art unter der Überschrift Bildung 4.0 wurde im vergangen Jahr unter Beteiligung des halben Kabinetts veranstaltet.
Die Programmatik der neuen Koalition erschließt sich bereits aus den Überschriften. Die Reihenfolge könnte auch eine Prioritätensetzung sein. Das würde bedeuten, dass Gesundheit und Soziales das Schlusslicht bilden.
- Bildung
- Innovation und starke Wirtschaft
- Sicherheit und Freiheit
- Vielfältige Regionen
- Sozialer und gesellschaftlicher Zusammenhalt
Bildung
Es fragt sich schon, warum die Familienpolitik unter Bildung subsumiert wird. Geht es hier in erster Linie, um die Heranziehung neuer Kräfte für den Arbeitsmarkt?
Das ist zu begrüssen:
- die in Aussicht gestellten zusätzlichen Landesmittel und gehobenen Qualitätsstandards für Kitas und den Offenen Ganztag (Sofortprogramme)
- die Entbürokratisierung der Beantragung der Mittel im Bildungs- und Teilhabepaket
- die vernetzten Beratungs- und Bildungsangebote in Familienzentren sollen weiterentwickelt werden
- die (200) Schwangerschaftsberatungsstellen werden wie gehabt gefördert werden
- niedrigschwellige Familienbildung und -beratungsangebote sollen gefördert werden
- Schulen sollen sich im Sozialraum mit ausserschulischen Partnern vernetzen
- Programme wie Teachfirst sollen ausgebaut werden (informelles Lernen/ Praxislernen)
- Es sollen 30 Talentschulen in Stadtteilen mit den größten sozialen Herausforderungen auf hohem (technologischem) Niveau eingerichtet werden
- Das Förderschulkonzept bleibt erhalten. Kann aber mit allgemeinbildenden Schule kombiniert werden. (Förderschulgruppen)
- Sonderklassen für Flüchtlinge und spezielle Ausbildungsplatzangebote sowie die Schulpflicht für nicht mehr schulpflichtige Flüchtlinge
- Kinder sollen Grundkenntnisse im Programmieren erlernen
- Digitales Lernen wird Bestandteil der Lehrerausbildung
- Digitale Lernzentren (Smart Factorys) werden eingerichtet.
- das Fachkräftgebot wird gelockert: für Leitungskräfte im Kitabereich und Lehrer/innen
- In der Fort- undWeiterbildung wird ein Schwerpunkt bei der Digitalisierung gelegt. Die Förderung durch den Bildungsscheck bleibt.
Innovation und Wirtschaft
Hier will ich ein paar Aspekte kritisch herausheben:
- Die Hoffnung, dass NRW zum Land der Entwicklung der Industrie 4.0 wird, ist schön und gut, aber zu kurz gegriffen. Industrie 4.0 geht nicht ohne Soziale Arbeit 4.0. Das gilt insbesondere für das Ruhrgebiet, wo die neue Regierung (zurecht!) einen Schwerpunkt legen will. Da hätten wir auch gleich gute Konzepte.
- Es ist zu begrüßen, dass die Digitalstrategie mit den Zielen des Europäischen Strukturfonds verbunden werden soll und zu hoffen, dass damit die Verknüpfung der sozialen Ziele gelingt.
- Arbeit und Soziales wird unter Innovation und Wirtschaft subsumiert. Nicht unter sozialem Zusammenhalt. Das birgt die Gefahr, (langzeit-) arbeitslose Menschen nur nach ihrem Mehrwert für den Arbeitsmarkt abzustempeln.
- Es ist zu begrüßen, dass Arbeitsmarktpolitik, Schulsozialarbeit und Jugendhilfe besser miteinander verzahnt werden sollen, solange es dabei nicht zu einer Aushöhlung der einzelnen Gesetze kommt.
Vielfältige Regionen
Das Wort Vielfalt bezieht sich auf die Unterschiedlichkeit der Ballungsgebiete und des ländlichen Raums, nicht auf die Vielfalt der Menschen, die dort leben.
- Das Kapitel „ländlicher Raum“ ist ähnlich dimensioniert wie vorher das Kapitel „Ruhrgebiet“. Wenn nicht sogar etwas größer. Es soll ja sogar ggf. ein eigenes Landwirtschaftsministerium geben. Da macht sich doch bemerkbar, dass die Federführenden aus den Rändern NRWs kommen.
- Es geht in diesem Teil u.a. um die überregionale Zusammenarbeit der Kommunen, die von der Wohlfahrtsarbeit nachvollzogen werden müsste.
- Zu begrüßen sind die Weiterentwicklung der sozialen Wohnraumförderung und der Städtebauförderung.
Sozialer und gesellschaftlicher Zusammenhalt
Das Kapitel beginnt mit Kultur und Medien.
Aber dann kommen die gesellschaftlich wichtigen Themen dann doch noch.
- Sofortprogramm für Krankenhäuser: Investitionsprogramm
- Altersmedizin und Gerontopsychiatrie sollen besondere Schwerpunkte werden
- Telemedizin/Digitalisierung soll wohnortnahe Versorgung sicher stellen
- Weiterentwicklung nicht-akademischer Gesundheitsberufe
- Hebammen sollen gestärkt werden
- Pflegestärkungsgesetz soll umgesetzt werden
- Das Alten- und Pflegegesetz NRW und die Durchführungsverordnung im Hinblick auf die Benachteiligung stationärer Einrichtungen soll überarbeitet werden.
- Die Assistenzausbildung in der Pflege soll gestärkt und weiterentwickelt werden.
- Der Kinder- und Jugenförderplan soll dauerhaft verbessert werden.
- Es soll ein direkt gewähltes Jugendparlament geben.
- Schul- und Jugendhilfeentwicklung sollen miteinander verknüpft werden. (Kann Auswirkungen auf die örtlichen Schul- und Jugendhilfeausschüsse haben)
- Ehrenamtliche, besonders junge Menschen, sollen gestärkt werden.
- Für Senioren sollen Zugänge zur digitalen Welt geschaffen werden.
- Familienzentren sollen mit Seniorenpolitik verknüpft werden.
- Fortführung des Bundes-Aktionsprogramms Mehrgenerationenhäuser ab 2020
- Spezielle Förderung älterer und alter Migranten
- Das Bundesteilhabegesetz soll zügig und im Zeitrahmen umgesetzt werden.
- Solide Finanzierung für Frauenhäuser
- Kultursensible Alten- und Gesundheitspflege
- Förderung des interrelligiösen Dialogs / Ethikkurse in Schulen
- Spezielle Programme für Flüchtlinge (Sprache, Bildung, Arbeitsmarkt, Ehrenamtliche)
- Ausbau der nordrhein-westfälischen Landespolitik in Brüssel zur Mitgestaltung der europäischen Angelegenheiten
Soweit die Liste der Vorhaben der Regierung 2017 bis 2022. Ich bin gespannt, was davon wie umgesetzt wird.
Weitere Infos:
Der Koalitionsvertrag (Gesamttext)
Interview mit dem Leiter des katholischen Büros NRW