Im Raum sind ein paar wenige Tische kreuz und quer gestellt. Darum herum wurden wie zufällig ein paar Stühle gruppiert. Die Mondrian Quadrate unterhalb der hohen Fenster strahlen, weil sie endlich mal gesehen werden. Der Glaskubus, mit dem die Fenster den Raum umschließen, schafft Transparenz zwischen draußen und drinnen. Fast scheint man in den Ästen des Baumes zu sitzen.
Der Kirchturm des Doms ist hautnah.
Es ist mir als wenn der Raum neu geschaffen wäre, dabei kenne ich ihn seit Jahren. Aber durch das neue Setting eröffnet er völlig neue Perspektiven und es fällt mir wie Schuppen von den Augen:
Das ist sie, die neue Zeit!
New Welfare, keine Angst vor Anglizismen, die Internetsprache ist voll davon und häufig trifft es der englische Begriff besser als der Deutsche.
New Welfare heißt: die Wohlfahrtspflege erfindet sich gerade neu.
Und während ich durch die sozialdigitale Woche stolpere, scheint es mir, als würde das System gar neu geboren.
E-Mail ist out.
Der Internet-Speaker Norbert Barnikel hält den Teilnehmer/innen unseres Workshops für Entscheider/innen in Kirche und Caritas einen Spiegel vor Augen, der einem zeigt, in welcher Zeit man/frau technologisch stehen geblieben ist. 2005, 2013, 2015, 2020, 2025 … Ich musste feststellen, ich bin bei Weitem nicht meiner Zeit voraus. Und die Organisationen der Wohlfahrtspflege schon gar nicht.
Hierarchien und Abteilungsstrukturen sind out. High Performance Teams sind in.
Die E-Mail im internen Schriftverkehr ist out. Apps wie MeisterTask oder Threema sind in.
Leistung und Gehalt nach Zeit zu bemessen ist out. Leistung nach Produktivität zu messen ist in.
Die Nichtteilnahme an sozialen Netzwerken ist out. Das Leben ist social.
Stuhlkreis war gestern.
In dieser Woche arbeite ich erstmals mit den Methoden Scrum und Kanban. Gelbe Zettel werden an das Fenster geklebt und geclustert. Danach werden Themen priorisiert und in einem kurzen Zeitfenster bearbeitet. Auf dem Flipchart steht:
Thema – Wie – Erledigt.
Es gibt keinen echten Moderator. Vielleicht einen, der auf die Zeit achtet. Und eine/r, der die Methodik im Auge behält. Es ist eine Freude zu sehen, welche hochgradige Produktivität, Kreativität und Innovationsfähigkeit dadurch entsteht.
Im Expert/innenteam der Delegiertenversammlung haben wir Zukunftszenarien für die Familien-, Behinderten- und Altenhilfe entwickelt. Und für das Ehrenamt. Die Kunst ist, konsequent vom Nutzer/ von der Nutzerin her zu denken.
Welches Tool will ich im Jahr 2030 als Ehrenamtliche benutzen, um ein Ehrenamt zu finden.
Stuhlkreis war gestern. Meetings finden auch im Stehen statt.
Lerngemeinschaften sind in.
Niemand hat die Weisheit mit Löffeln gefressen. Viele verhalten sich aber noch so. Gemeinsam im Diskurs neue Erkenntnisse gewinnen. Wissen teilen. Shared Economy.
Stakeholder sind out. Fans, Follower, Freunde und User sind in. Wer nicht im Netz aktiv ist, wird nicht gesehen oder gefunden.
Das Netz ist die alte Adressenkartei. Ich gebe einen Namen ein und bin im Kontakt. Man verbindet sich zu Themen.
Umso wichtiger ist es, die im Blick zu halten, die keine Zugänge haben.
„Ich“ ist out. „Wir“ ist in.
Croudthinking entlastet unglaublich. Es ist eine Lerngemeinschaft. Jede/r erfährt etwas Neues. Warum bist Du da? Ist eine der Fragen. Warum bist Du heute hier? Was begeistert Dich? Was willst du lernen? Was glaubst Du beitragen zu können. Jede/r hat einen Mehrwert. Spannend auch als wir über die Kriterien für Innovation sprechen: eines soll sein, es darf scheitern! Fehlerkultur. Trotz aller Anstrengung wurden die Ziele nicht erreicht. Und die Frage ist warum. Und was können andere davon lernen.
Hashtags sind in.
New Welfare findet in der Bewegung statt. Meine BloggerCommunity, die jetzt neu unser Innovationsbeirat ist, trifft sich am Abend und geht durch Essen zum Essen. Auf dem Weg brainstormen die Fünf hashtags für unser Vorhaben. Auf die Liste kommt, was sie sehen.
Später landen wir im Hayati, einem von Flüchtlingen betriebenen Restaurant im Grillo-Theater. Die Launch hat schon ziemlichen LabCharakter.
Auf dem Nachhauseweg steht der hashtag: #CariEhre.
Fünf Menschen haben ohne mein Zutun einen hashtag gefunden, der treffender nicht ausdrücken könnte, was die soziale Arbeit der Caritas ausmacht.
Cariehre, CariEhre …
New Welfare ist social.
Das ist die neue Wohlfahrt. Sie hält sich nicht mehr an Verbandsgrenzen, sondern arbeitet wegen der gemeinsamen Sache begeistert zusammen und kollaboriert ganz selbstverständlich mit Start ups und Social Entrepreneurs.
Und nicht nur das. Es endet nicht dort. Sondern es greift in die Kunst-, Kultur- und Theaterszene. Wenn man sich an den Blogger/innen orientieren würde, dann ist alles denkbar und alles kann sich gegenseitig inspirieren.
Umso wichtiger ist es, die eigene Identität zu kennen. Den Kern. Den Ausgangspunkt.
Es gibt keine Zufälle: Der deutsche Caritasverband präsentiert just an dem Tag, an dem das Expert/innenteam in unserem DigitalLabor im Haus der Caritas in Essen in Zukunftsszenarien denkt, die neue Jahreskampagne:
Wohlfahrtsverbände und neuer Start up Sektor wollen neue Lösungen entwickeln
Wir starten in Essen unser LAB:
DigitalExperte startet InnovationsLabor
und ich leiste hiermit einen
Beitrag zur Blogparade Soziale Innovation des Deutschen Roten Kreuzes.
… und noch etwas Nostalgie.
Und dann fühle ich historische Momente. 2012 habe ich angefangen zu bloggen. Ungefähr seit dem kenne ich Thomas Mampel und Hendrik Epe. Thomas hat uns beide inspiriert und wir uns dann nachher gegenseitig. Hendrik habe ich das erste Mal 2014 analog getroffen. Thomas das erste Mal vorgestern (!!). Trotzdem sind wir mit anderen wie Hannes Jähnert, Benededikt Geyer, Thomas Michl und Christian Müller über die Jahre eine Community geworden, die im Austausch ist und bloggend die soziale Arbeit weiter entwickelt. Als wir uns die letzten zwei Tage zu einem Austausch trafen, lag ein phantastischer Spirit in der Luft, der dieser Woche einen Punkt setzte.
wow, toller Beitrag, liebe Sabine 👍😀
Danke Dir, liebe Annette!
Hat dies auf Ruhrköpfe rebloggt und kommentierte:
Zu viele Emails? Zu viel Geschwafel in langen Teamsitzungen? Alles out! Endlich! Längst nicht nur bei den Trägern der Wohlfahrtspflege überfällig #NewWelfare
Bei Sabines Blog „Zeit zu teilen“ erfahrt ihr mehr darüber: https://zeitzuteilen.blog/2019/01/19/stuhlkreis-war-gestern-newwelfare/#comment-1148
Spannender Artikel, den ich lesen durfte, weil ihn Annette (Ruhrköpfe) geteilt hat.
Ich teile nicht alle Aussagen dieses Beitrags (z.B. die über die Hashtags oder auch die „Out-These“ zu der Nichtteilnahme an Social Media). – Aber man muss ja nicht immer einer Meinung sein, sondern sollte sich über Futter für sein Hirn freuen. Das gibt es hier. Danke dafür!
Lg,
Werner
Danke für den Kommentar. Ich teile auch nicht immer alles, aber zuspitzen macht Blogs interessanter 😊. Herzlicher Gruß, Sabine