Führen in Zeiten der Pandemie – Coronatagebuch (Teil 2)

Wer wusste schon genau, was während einer Pandemie zu tun ist. Wie wir alle wissen, viele wussten es nicht. Und keiner wusste, wie lange es dauern würde.

Meine wichtigste Lernerfahrung ist, dass alle wieder zu Lernenden werden mussten. Dass auch Wissenschaft und Politik keine fertigen Antworten hatte.

Dass wir nicht sicher sein konnten, dass ein Experte den richtigen Weg wies. Und wir doch gleichzeitig viel Verantwortung für unsere Beschäftigten, Bewohner und Einrichtungen hatten.

Was ich plötzlich erkannte, dass deutlich wurde, wer seriös handelte und wer nicht. Umsicht, Vorsicht und Zuhören war besonders gefragt. Die meiste Ahnung hatten diejenigen, die Fragen stellten und nicht diejenigen, die mit fertigen Antworten performen wollten.

Am 28. März notiere ich im Tagebuch: „2 harte Arbeitswochen liegen hinter uns allen.

Neu ist, dass wir uns auf das absolut Wesentliche konzentrieren.

Der Arbeitsalltag besteht aus aneinandergereihten Videokonferenzen – von 9 Uhr bis 19 Uhr. Es kommt zu einem sogenannten Shut Down des wirtschaftlichen Handels.“

Es gibt keine Wochenenden. Wie nie zuvor gibt es Direktschalten zwischen Wohlfahrt und Ministerien, um Erlasse zu verstehen und zu revidieren. Alle paar Tage gibt es einen Krisenstab mit dem Land, um die Probleme der Praxis zurück zu melden. Das Hauptproblem war die Beschaffung von Schutzmaterial. Es wurden diverse Anbieter geprüft, die Schutzmaterial beschaffen konnten. Die Sorge um die Risikogruppen war groß.

Schutzkonzepte.

Schutzkonzepte mussten erarbeitet werden. Dann stellten sich neue Fragen. Was ist mit den Diensten, die geschlossen werden? Ist hier Kurzarbeit möglich? Wie können sie langfristig abgesichert werden? Gibt es hierfür Rettungsschirme?

Alles wird systematisch mit den Behörden durchgesprochen. Immer wieder treten neue Fragen auf. Das Thema digitale Infrastruktur kam auf den Tisch. Denn wenn Dienste nicht Face to Face arbeiten konnten, mussten sie auf Online-Konzepte umgestellt werden, falls nicht schon geschehen. Aber Digitalisierung kostet Geld.

Wir hatten wochenlang durchgearbeitet. Irgendwann war Ostern und zum ersten Mal bot sich etwas Zeit zum durchatmen.

Wir nutzen die Zeit, nach Kiel zu reisen, um auf Wohnungssuche zugehen, was zu dem Zeitpunkt nur mit Ausnahmegenehmigung erlaubt war. Die Autobahnen und Raststätten waren verwaist. Die Küstenorte und die Innenstadt von Kiel schienen leer gefegt.

Als wir zurück waren, ging die Arbeit im selben Tempo wie vorher weiter.

Ab dem 27. April wird der Mund-Nasenschutz verpflichtend eingeführt.

Lockerungen.

Bis Mitte Mai dauerten die Sitzungsmarathons an. Nachdem die Einschränkungen Mitte bis Ende April wieder gelockert wurden und auch Kitas und Schulen wieder geöffnet hatten, gab es neue Erlasse, die diskutiert, revidiert, kommuniziert und umgesetzt wurden. Und das zügig.

Um den 18. Mai stiegen nach einigen Wochen Kälte die Temperaturen an. Plötzlich waren es dann nur noch wenige Tage bis zum Ausscheiden in Essen.

Eine unwirkliche Zeit, in der wir gleichzeitig losließen und unendlich viel zu tun hatten: arbeiten, packen, auflösen, verabschieden.

Tagebuchnotiz am 30. Mai: „Möwengeschrei. Die Sonne geht über der Ostsee auf.“

Learning Lessons.

Und während der Juni von Urlaub, Umzug und Übergang geprägt war, war Zeit nachzudenken und zu reflektieren. Was lehrt uns die erste Phase der Pandemie? Vor welchen besonderen Herausforderungen stehen Führungskräfte?

  • Gut informiert sein, z.B. regelmässig das Coronavirus-Update hören und auf Twitter seriösen Quellen folgen. Erlasse lesen.
  • Die Digitale Infrastruktur spätestens jetzt auf den neusten Stand bringen.
  • Ein passendes Krisenmanagement einrichten.
  • Voneinander lernen. Zusammenarbeiten.
  • Auf die Sache konzentrieren.
  • Pragmatismus üben.
  • Die Lage ernst nehmen.
  • Möglichst ein Vorbild sein.
  • Virtuelle Zusammenarbeit fördern und ausbauen.

Ein Kommentar zu “Führen in Zeiten der Pandemie – Coronatagebuch (Teil 2)

  1. Liebe Frau Depew!

    Vielen Dank für dieses „Coronatagebuch im Rückblick“. Auch ich rätel immer noch rum, wie es gut gehen kann und versuche es grade mit einer „Inventur“ meiner Tätigkeit als Seelsorgerin in 2020. Da hilft Ihr Beitrag sehr.
    Sie schreiben: „Meine wichtigste Lernerfahrung ist, dass alle wieder zu Lernenden werden mussten.“
    Das wäre schön, denn Lernende haben eine andere Haltung als Lehrende oder Zertifizierte. Die Lernenden sind meine wichtigsten Partner zur Zeit. Was mir zu schaffen macht sind die, die aus ihrer angestammten Rolle als „Wissende“ nicht raus kommen. Wir Seelsorger und Seelsorgerinnen machen flächendeckend die Erfahrung, als nicht systemrelevant vom System (Behindertenhilfe, Klinik, Heime, Freizeiteinrichtungen, … ) eingestuft zu werden. Führungskräfte sorgen sich um die Gesundheit der ihnen Anvertrauten. Es gibt Sitzungen und Papiere. Derweil sind Menschen mit Hilfebedarf (ein weites Feld) abgehängt. Sie sind nicht erreichbar, wenn sie nicht bereits gelernt haben, Kommunikationswege zu nutzen. Daraus hätten wir lernen können in der ersten Phase der Pandemie, im ersten Lockdown. Nur: was?

    Jetzt bin ich auf Ihren nächsten Beitrag gespannt.
    Herzliche Grüße in den Norden,
    Dorothee Janssen

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