Die Themen, die uns in den vergangenen Jahren beschäftigt haben, scheinen zu dem Punkt, an dem wir heute stehen, vergleichsweise moderat. Obwohl Ökonomisierung und Digitalisierung die Systeme mehr als herausgefordert haben, erleben wir aktuell eine Zeit, die wir höchstens aus der Geschichte kennen. Manches kommt uns unwirklich weit weg, ja mittelalterlich, vor.
Wie Pest und Cholera zusammen!
Und das betrifft nicht nur die Pandemie. Es herrscht Krieg, Inflation, Armut, Mangel, Flutkatastrophen, Bildungsmangel, Hunger, Kälte.
Der französische Philosoph Michel Foucault meinte dazu:
Die Menschen wissen was sie tun; häufig wissen sie, warum sie das tun, was sie tun; was sie aber nicht wissen, ist, was ihr Tun tut.
Michel Foucault
Durch unser Tun zerstören wir unsere Umwelt. Nicht nur das Klima, sondern existentielle Rahmenbedingungen.
Aber was bedeutet das für die soziale Arbeit?
Die Einrichtungen, die gerade mit den Belastungen der Pandemie ringen, stehen jetzt wieder vor einem Krisenjahr, so wie die Menschheit selbst. Besonders betroffen sind gerade die Menschen, denen sie dienen. Die Katze beißt sich in den Schwanz.
Umdenken. Aber richtig.
Während sich die tägliche Agenda mit immer mehr Aufgaben und Fragen füllt, ist wenig Zeit wirklich innehalten zu können und nachzudenken. Gerade auch über diese zentral wichtigen Fragen.
Wie auch? Und in welcher Form?
Der Club of Rome hat vor 50 Jahren mit seinem Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ wegweisende Erkenntnisse veröffentlicht. Die Zusammenhänge zwischen globalem Wirtschaften, Klima und Lebensqualität waren bahnbrechend.
Genau fünfzig Jahre später veröffentlicht der Club of Rome wieder einen Bericht und ein ungeduldiger Geist mag denken: WARUM? Warum nur sind wir nicht schon viel weiter?
In diesem aktuellen Bericht „Earth for All“ geht es um den Zustand der Erde, vor allem aber auch darum, was genau getan werden muss und zwar nicht morgen oder übermorgen, sondern heute. Jetzt!
Die Eckpunkte sind keine Unbekannten und dennoch immer noch keine Handlungsmaxime:
- Beendigung der Armut
- Beseitigung der eklatanten Ungleichheit
- Ermächtigung der Frauen
- Aufbau eines für Menschen und Ökosysteme gesunden Nahrungsmittelsystems
- Übergang zum Einsatz sauberer Energie
Warum nur braucht es so lange?
Die Menschen wissen nicht, was ihr Tun tut, um es mit Michel Foucault zu sagen. Wir sind uns über die Wirkung unseres Handels in der Regel zu wenig bewusst.
Das heißt, wir müssen eben genau bei uns anfangen.
Vielleicht ist es heutzutage nicht mehr das Ziel, zu entdecken, wer wir sind, sondern das zurückzuweisen, was wir sind.
Michel Foucault
Wer bin ich und wer will ich eigentlich sein? fragen wir mit dem französischen Philosophen, der sich der Subjektanalyse verschrieben hatte. Zu Beginn des Jahres habe ich mich das auch selbst gefragt: Wird dieses Jahr nachhaltig mein Leben verändern? Es wird besser. Bewußter. Nachhaltiger. Aber warum erst jetzt? Warum nicht damals schon Anfang der neunziger als ich mich schon mal intensiv mit den Themen befasst habe. So geht es wahrscheinlich vielen Menschen.
Es braucht auch deswegen so lange, weil das Leben dazwischen kommt. Weil wir uns in unserem täglichen Hamsterrad festfahren, weil es wichtige Aufgaben zu tun gibt: Familie, Kinder, Beruf.
Was bedeuten die Herausforderungen für die soziale Arbeit?
Auch die soziale Arbeit scheint in diesem Hamsterrad gefangen. Es bleibt kaum Zeit, nachzudenken. Es bleibt keine Zeit, nachhaltiger zu werden. Es ist zu teuer. Die Einrichtungen haben gerade ganz andere finanzielle Sorgen. Ja, hätten wir mal früher das Solardach angeschafft, aber damals hatten wir eben auch andere Sorgen.
Armut, Krieg, Inflation, Flucht, Hunger. Jetzt ging es uns doch ein paar Jahre gut und jetzt fängt es wieder von vorne an. Die Kreisläufe, in denen wir uns bewegen, sind ungesund.
Wir brauchen einen Haltepunkt. Ein Stopp. Um nachzudenken. Um uns neu aufzustellen. Gemeinsam mit den politisch Verantwortlichen. Welchen Wert messen wir den sozialen Organisationen bei? Sind sie kurzfristig systemrelevant und dann auch nicht mehr finanzierbar? Wie geht es weiter?
Nachhaltigkeit ist mehr als Klimaschutz. Wie schon vor fünfzig Jahren vom Club of Rome zusammengefasst. Alles hängt mit allem zusammen. Und die 5 Handlungsmaxime müssen auch die gesellschaftliche Arbeit leiten.
Es braucht einen gesellschaftlichen Konsens, dass es nicht um immer mehr Wachstum geht, sondern, das, was wir haben, zu schützen. Es müssen nicht noch mehr Ressourcen geborgen werden, sondern wir müssen lernen mit dem auszukommen, was wir haben und zwar weltweit.
Die soziale Arbeit kann dabei helfen, die Symptome zu lindern, aber genauso ist es ihre Aufgabe, sich dafür einzusetzen, dass Armut und Ungleichheit ein Ende haben. Weltweit. Dass Lebensbedingungen der Menschen hier und anderswo gesundheitsfördernd sind, beispielsweise auch in dem Ungleichheit abgebaut wird.
Es gibt im Leben Augenblicke, da die Frage, ob man anders denken kann, als man denkt, und auch anders wahrnehmen kann, als man sieht, zum Weiterschauen und Weiterdenken unentbehrlich ist.
Michel Foucault: Quelle der Weisheit
Also raus aus dem mittelalterlichen Denken und rein in die echte, die nachhaltige, Moderne!
“ … und ein ungeduldiger Geist mag denken … “
Das erinnert mich an den netten Spruch:
„Wenn ein Mann sagt, dass er etwas tun wird, tut er das auch. Da musst du ihn nicht alle 3 Monaten dran erinnern.“
Wie kann das gehen mit dem Umdenken? Es gibt bereits viele beeindruckende Beispiele. Aber wie gehe ich mit „meinem“ Unternehmen um, dass so gar nicht umdenken will?
Liebe Sabine, wo ist Dein unerschütterlicher Optimismus geblieben? – Geschichte wird gemacht, es geht voran. Nur Geduld – und Zuversicht! Herzliche Grüße aus dem Rheinland