„Es hat den Anschein, als hätten wir eine Art sozialen Wendepunkt überschritten. Die Menschen beginnen, ihre Stimme zu finden, zu verstehen, dass sie tatsächlich etwas bewirken können.“
Greta Thunberg
Das Thema Bildung bewegt mich seit mehr als drei Jahrzehnten und ist mit meinem Lebensweg eng verknüpft. Dabei begann die Liebesgeschichte eigentlich erst nach der Schule als ich lernte, dass Wissensfüllung nicht gleich -erfüllung und schon gar nicht gleich Bildung ist.
Mein Vater wollte eigentlich, dass ich Informatik studiere. Das war Anfang der 90er Jahre noch gar keine so selbstverständliche Empfehlung. Und wäre aus heutiger Sicht ein durchaus sinnvoller Weg angesichts meiner Leidenschaften für digitale Themen gewesen. Aber ich studierte Jura. Weil sich in meinem Kopf ein Berufsbild festgesetzt hatte. Zu der Zeit war es ja noch so, dass eine*r einen Beruf fürs leben erlernte.
Jura habe ich nur ein Semester studiert, weil mir die Paragraphen zu stupide und ich auf der Suche nach kreativeren Umgebungen war. Aber auch die Paragraphen haben mich später wie das Digitale wieder eingeholt.
Fakt ist: Es gibt nicht das eine Berufsbild. Nicht die eine Aufgabe. Nicht den einen Arbeitgeber. Nicht die eine Möglichkeit, Geld zu verdienen.
Die Welt ist bunt!
Ausgebildet?!
So fand ich meinen Weg zu meinem Studium: der Pädagogik. Ich lernte, dass Erziehung und Bildung zwei Seiten einer Medaille sind und sie deswegen im Englischen auch nur den einen Begriff education kennen. Pädagogik, die Erziehungswissenschaft, ist also auch die Bildungswissenschaft und daher ein allumfassendes Thema, das von der Lehre, dem Lernen, der frühkindlichen bis zur Bildung im Alter, von der Didaktik und der Forschung bis hin zur sozialen Arbeit reicht.
Aber was genau ist Bildung? Bildung passiert ein Leben lang. Der Mensch wird schon als Säugling von seiner Umgebung geformt, passt sich an, entwickelt sich weiter, lernt. Lernt nie aus. Ist nie ausgebildet.
Das zählt zu meinen wichtigsten Lebenserkenntnissen. Als Mensch bewegen wir uns auf einem Lebensweg, der uns immer wieder vor neue Herausforderungen stellt, an dessen Rand Versprechungen stehen, die aber möglicherweise nichts mit unseren Talenten zu tun haben, die uns verlocken und anlocken und sich als Irrwege herausstellen.
Darum finde ich es so wichtig, immer wieder neu in sich hinein zu hören und zu fragen, was sind Deine Talente, Interessen, Themen? Was möchtest Du tun? Wie möchtest Du gerade jetzt die Welt verändern?
Sozialarbeiterin, Animateurin, Bildungswissenschaftlerin, Pionierin, Künstlerin, Sozialmanagerin …
Wie wird eine*r etwas? Was bedeutet das eigentlich? Wann bin ich wer? Was ist Karriere? Wenn eine*r möglichst viel Geld verdient? Oder einen entscheidenen gesellschaftlichen Beitrag leistet? Etwas zuhause in der Familie oder der Pflege der Eltern oder im Ehrenamt tut? Was ist Arbeit, was ist Erwerbsarbeit? Ist Kunst auch Arbeit? Ist meine Berufung das, was ich bin?
Das sind Fragen, die uns gleich am Anfang unserer Ausbildung beschäftigen, aber auch während des ganzen Lebens. Talente entwickeln sich. Interessenbildung ist nicht im Kindesalter abgeschlossen. Im Gegenteil: sie nehmen zu im Laufe des Lebens.
Karriere passt dabei als Begriff nicht mehr in die moderne Zeit. Denn wie wollte eine*r sonst das Werk der Umweltaktivistin Greta Thunberg beschreiben? Geht es nicht viel mehr um Talente? Es gilt unsere Talente zu finden und einzusetzen und neue zu entwickeln und zu fördern und auszubilden. Wir werden damit nie fertig sein. Wir werden niemals ausgebildet sein.
Nicht von ungefähr war das Talent im antiken Griechenland eine Währungseinheit, das durch reines Silber aufgewogen wurde. Talente sind wertvoll. Und wenn Du das Richtige tust, wird das Geld auch kommen.
Und so war ich während meiner Tätigkeiten in der sozialen Arbeit bereits Theaterpädagogin, Sozialmanagerin, Bildungswissenschaftlerin, Aktivistin, Animateurin, Pionierin, Lehrende und Lernende und noch viel mehr.
Was ist aktuell gerade dein Weg?
Was mich am meisten begeistert ist, dass es immer wieder (Neu-) Anfänge gibt. Den Blick über den Tellerrand zu werfen und die Möglichkeit, sich und seine Talente neu zu entdecken. Das verlangt auch unsere Zeit, gerade auch in der sozialen Arbeit, da wir beständig vor neue Herausforderungen gestellt werden.
Als ich Mitte der 90er Jahre zum Caritasverband kam, wollte ich max. drei Jahre bleiben. Ich war neugierig auf die Arbeitswelt und wollte so viele unterschiedliche Organisationen wie möglich kennen lernen. Ich blieb lange. Auch deswegen, weil die Aufgaben kreativ und abwechslungsreich waren. Und ich die Gelegenheit hatte, in vielen unterschiedlichen Arbeitsfeldern tätig zu sein. Aber auch, weil es anders als heute keinen Fachkräftemangel sondern Überhang gab und ein sicherer Job einen hohen Wert hatte.
Während dieser Zeit war die soziale Arbeit lange meine Berufung. Bis ich auf das Thema digitales Lernen stieß und zur Bildungswissenschaft zurück fand.
Plötzlich taten sich damit verbunden neue Themen auf: die richtige Lernumgebung. Der Raum ist dritte Erzieher*in, sagt eine*r nicht nur in der frühkindlichen Pädagogik . Das Lernen überhaupt. Wie funktioniert Lernen. Ist Lernen nicht ein Spiel? Wie halte ich Menschen bei Lust und Laune? Und sind Arbeitsumgebungen nicht auch Lernumgebungen?
Wie wünsche ich mir selbst die richtige Lern- und Arbeitsumgebung? Wer inspiriert mich so, dass ich mich als Teil eines großen Ganzen fühle? Wann muss ich aber auch gehen, um mich persönlich weiter entwickeln zu können? Es kann sein, dass ich über mich selbst hinaus wachse und ein neues Umfeld brauche, das mir geben kann, was ich gesucht habe.
Ich persönlich habe mich Anfang dieses Jahres gefragt, wird dieses Jahr mein Leben nachhaltig verändern? Angesichts der Herausforderungen von Pandemie, Krieg und Klima hat mich die Frage beschäftigt, was möchte ich gerade aktuell am allerliebsten tun? Eine Antwort war, ich hätte gerne mehr Zeit zum Innehalten. Das klingt paradox angesichts der Herausforderungen. Aber sich im Hamsterrad verrückt zu laufen, hilft auch nicht weiter. Wir müssen inne halten und uns fragen, wie sollte soziale Arbeit und gesellschaftliches Handeln angesichts dieser Herausforderungen gestaltet werden.
Eine glückliche Fügung und tolle Gespräche mit Wegbegleiter*innen haben mir einen Pfad aufgezeigt, der in diese Richtung weist und den ich jetzt probieren werde: Lehre und Forschung.
Darauf freue ich mich sehr. Und kann nur jede*n ermutigen, ihren und seinen Weg zu finden, immer aufs Neue die eigenen Themen und Interessen zu ergründen
Denn mittlerweile geht es um sehr viel mehr als nur die Frage Was ist eigentlich ein Traumjob?
Um es mit Greta Thunberg zu sagen:
„Ich bin nicht so besonders. Ich kann nicht jeden überzeugen. Ich werde einfach das tun, was ich tun will und was die größte Wirkung hat.“
Hallo Sabine,
Lehre und Forschung klingen sehr spannend, viel Freude dir dabei. Bin schon sehr gespannt auf deine Berichte und Details hier. 🙂
Deine Frage, wie der individuelle Weg aussieht, beschäftigt mich – mit meinem Team – aktuell auch. Wir wissen es noch nicht 100%ig, aber es zeigen sich spannende Wege.
Viele Grüße,
Christian
Danke Dir, Christian! Und auf Euren weg bin ich auch gespannt. Ich schätze unser Netzserk, in dem wir nun seit Jahren denkend, diskutierend, weiterentwickelnd unterwegs sind! LG Sabine
Liebe Sabine,
Du bist ein Phänomen als Quelle immer wieder neuer Überraschungen. Berufung und Leidenschaft als intrinsische Motivatoren werden – nicht nur aktuell – gehypt. Sehr beeindruckend im vielfach ausgezeichneten Film WeRiseUp (Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=FKwR0FGsupc). Kennst Du Greator.com? Dort könntest Du viele Ähnlichgesinnte treffen.
Bin gespannt, wo und wie Du Lehre und Forschung betreiben wirst. Viel Elan dafür und Freude daran!
Liebe Grüße
Kai
Danke Dir, lieber Kai. Die Plattform kannte ich noch nicht. Liebe Grüße Sabine
Problematisch bleibt, wie ausgepowerte Kräfte in Pflege und Erziehungswesen Wege in andere Bereiche finden. Neue Wege. Neue Arbeitsplätze, die menwschenwürdig sind. Im Pflegebereich sehe ich https://buurtzorg-deutschland.de/ . Generell ist der Weg über die Gemeinwohlökonomie zielführend, weil es da nicht nur um Erfolg, sondern mehr noch um Menschenwürde geht.
Aber, wie gesagt, diese ersten Schritte aus dem Sumpf oder auch dem Goldenen Käfig sind schwer.
Danke, Sabine, für den Input. Auch wir sind hier gespannt, was du uns demnächst bloggen wirst.
Herzliche Grüße aus dem Bistum Essen,
Dorothee
Liebe Dorothee, das ist vielleicht sogar die Gretchenfrage. Oder anders: welche Finanzierungen und Organisationsformen und – Kulturen braucht es, damit auch die immer wieder neuen Herausforderungen gut gemeistert werden können. Danke für Deinen Beitrag! LG Sabine