Vom Sorgenkind zur Modellregion.

Erinnert ihr Euch noch an den Paradigmenwechsel als aus der Aktion Sorgenkind die Aktion Mensch wurde? An dem Punkt stehen wir gerade bei der Caritas in Schleswig-Holstein.

Was gebraucht wird.

In meinen ersten Wochen habe ich mit vielen Menschen gesprochen und Einrichtungen besucht, um ein Gefühl für den Bedarf zu bekommen. Dabei haben sich zentrale Herausforderungen heraus kristallisiert:

Sichtbarkeit. Wer oder was ist eigentlich die Caritas in Schleswig-Holstein? Welches Profil ergibt sich aus den Diensten und Angeboten? Ein Sammelsurium oder eine Strategie? Vielfalt oder Kernkompetenz? Was auch immer: das Profil ist auch deswegen nicht erkennbar, weil das Angebot der Caritas in Schleswig-Holstein nicht sichtbar ist.

Kommunikation & Information. Eine dezentrale Organisation wie die Caritas in Schleswig-Holstein und die Caritas im Norden insgesamt leidet rein strukturell an Informationsdefiziten und einer unzureichenden Kommunikationskultur.

Schnelle Problemlösungen. Die Menschen vor Ort in der Praxis haben wenig bis gar keine Ressource sich um Aufgaben zu kümmern, die ausserhalb ihrer unmittelbaren Tätigkeit am Menschen liegen. Wenn Probleme auftauchen, sind sie darauf angewiesen, dass sie zügig gelöst werden.

Geld. Nicht nur durch Corona: die Mittel werden knapper. Der Bedarf an zusätzlichen Einnahmen steigt.

Angebote in der Fläche. Schleswig-Holstein ist ein Flächenland. Es ist das Land zwischen den Meeren. Während an der Ostsee bis hin nach Hamburg in den Ballungsräumen Angebote zu finden sind, tut sich an der Nordseeküste bisher wenig bis nichts.

Gezielte Interessenvertretung. Diskurs ja, Labergremien nein. Knappe Ressourcen erfordern Zielgenauigkeit. Und direkte Ansprache der Personen, die unterstützen können bzw gute Partner/innen sind.

Erste Schritte.

Social Media. Die Kanäle sind schnell eingerichtet. Die Wahl fiel auf Instragram (für die Jungen), Facebook (für die Älteren) und Twitter für die sozialpolitische Öffentlichkeitsarbeit. Wichtig ist, dass die Kanäle bespielt werden. Klasse daher, dass wir hier im Team begeisterte Menschen haben, die Lust haben, sich etwas auszudenken und zu befüllen. Ergebnis: Die Caritas Schleswig-Holstein wird sichtbarer.

Workplace und Newsletter. Die interne Kommunikation wird teilweise digitalisiert, um den Informationsaustausch zu fördern und zu vereinfachen. Das erfordert die Entwicklung neuer Kompetenzen im Umgang mit digitaler Technik, Social Media, und Informationsmanagement.

Agile Problemlösungen. Die Praxis braucht direkte Hilfe. Um die Arbeit gezielt hierauf auszurichten, braucht es noch mehr Praxiskenntnis, um flexibel auf die Anforderungen zu reagieren. Die Arbeit mit agilen Methoden wie dem Daily wird dieses Anliegen unterstützen.

Quelle: https://www.digitales-kompetenzzentrum-kiel.de/aktuelles/information/agile-projekttools-daily.html

Finanzkompetenz stärken und organisieren. Ein Schwerpunkt unserer Aufgaben in der Landesstelle sind Finanzen: Buchhaltung für unsere Einrichtungen und Zuschusswesen. Das werden wir ausbauen, um die Praxis vor Ort gezielt bei der Beschaffung von Geldern zu unterstützen.

Und was ist eigentlich die Aufgabe einer Landesleitung?

Da wir uns in Neu- und Umstrukturierungen befinden, ist auch das Aufgabenprofil meiner Stelle als Landesleitung zu überdenken. Gerade im Sanierungsprozess, in dem viele Aufgaben neu bewertet und überdacht werden müssen, habe ich mir die Frage gestellt: Braucht es überhaupt eine Landesleitung und wenn ja, welche Aufgaben fallen an? Stand heute: es braucht sie und sie hat fünf Kernaufgaben.

Den roten Faden im Blick behalten. Aufgaben beschreiben, bewerten, umsortieren, Besprechungen, Einzelgespräche, strategische Themen angehen, den Weg skizzieren, kommunizieren, korrigieren. Kurz: Leitung und Strategie.

Trüffel suchen und finden. Die Mittel werden knapper. Erträge müssen gesteigert werden. Als Landesleitung gehört es daher klar zu den Aufgaben, neue Gelder zu akquirieren und alternative Wege zu gehen, um Erträge zu steigern. Kurz: Mittelakquise.

Dem Wind of Change folgen. Wir leben in schnelllebigen Zeiten. Das einzige was bleibt, ist die Veränderung. Es gilt daher Trends zu erkennen und einzuordnen, um sie in erträglichem Maße für die Organisation nutzbar zu machen. Kurz: Veränderungsmanagement und Organisationsentwicklung.

Aus der Tradition heraus das Neue entwickeln. Not sehen und handeln halte ich auch nach all den Jahren für den besten Slogan und das exakte Leitbild, dem die Caritas folgen sollte. Er beschreibt ihren Kern. Gleichzeitig gilt es mit der Zeit zu gehen und die traditionellen Angebote upzudaten. Stichwort: Onlineberatung. Gerade eine Modellregion wird sich das Neue auf die Fahne schreiben. Das gilt es zu fördern und zu integrieren. Kurz: Innovationsmanagement

Kollaborieren. Traditionell besteht Verbandsarbeit aus Gremienarbeit. Auch diese gehören auf den Prüfstand. Welche sind wirksam? Wie lassen sich Ressourcen und Wege effektiver gestalten? Kurz: Netzwerken, verbandspolitische Öffentlichkeitsarbeit, gezielte Interessenvertretung.

Die grüne Wiese ist mein Symbol für Neuanfang, Experimente und Innovationen. Das Bild passt zum Flächenland Schleswig-Holstein. Wir werden hier Neues erproben, manches verwerfen und hoffentlich vieles optimieren. Adieu Sorgenkind! Welcome Modellregion. Die Veränderung beginnt mit dem Mindset oder schlicht: im Kopf!

Neue Wohlfahrt: Was wäre, wenn wir nochmal ganz neu anfangen könnten?

Wenn man (oder frau) alle Tradition, alles bisher Bekannte & Vertraute einfach über Bord werfen würde und nochmal ganz neu anfangen könnte, was würde dann geschehen?

Ein wenig geht es uns doch gerade so nach den Lock & Shut Downs. Wir philosophieren und reflektieren darüber, was uns diese (ungewollte) Auszeit gebracht hat.

  • Was haben wir gelernt?
  • Auf was wollen wir für immer verzichten?
  • Was ist eigentlich das Wesentliche?

Gestrandet. Auf der grünen Wiese.

Auch mir persönlich geht es so. Eben noch mitten in den Ballungsräumen finde ich mich mit Beginn der Lockerungen in der Pandemie auf der grünen Wiese in den schönen Landschaften Schleswig-Holsteins wieder und darf nochmal ganz neu anfangen. Und zwar mit allem: wohnen, leben, arbeiten.

Als wir beim letzten #SozialCamp über die Grüne Wiese diskutiert haben, wusste ich noch nicht, dass sie mir bald so ganz real begegnen würde.

Dazu passt, dass wir letztlich, ohne es zunächst beabsichtigt zu haben, auf der Insel Fehmarn beheimatet sind, einer Insel, die wir vorher nicht kannten und die uns durch ihre unberührte Natur und ihre gigantische Landwirtschaft fasziniert.

Auch der Maler Ernst Ludwig Kirchner war von dem einfachen und sinnlichen Leben auf Fehmarn angezogen und schuf im Zeitraum von 1908 bis 1914 mehr als 120 Ölbilder. Bezeichnend ist, dass Kirchner zur Lebensreformbewegung gehörte, ein Oberbegriff, der für verschiedene soziale Reformbewegungen steht, die sich gegen Industrialisierung, Materialismus und Urbanisierung wandten.

Bezeichnend deswegen, weil dieses Umdenken auch dem Leben mit Corona gut täte. Das Soziale ist ohne das Nachhaltige, ohne Natur- und Umweltschutz, das Ökonomische ohne das Ökologische, nicht mehr zu denken. Hier auf Fehmarn, wo die Windräder leise surren und gleichzeitig ungeachtet jeglichen Artenschutzes durch den Bau des Fehmarnbelttunnels nach Dänemark ganze Wasserlebenswelten zerstört werden sollen, eröffnen sich die Zusammenhänge ganz unmittelbar.

Was ist wirklich wesentlich in Kirche, Gesellschaft, Caritas, Wohlfahrt? Eine Frage, die mich immer mehr beschäftigt. Nah an der Natur beim Hahnenschrei erwachend, in die Sonne blinzelnd, den Blick über die weiten Kornfelder streifend, in der kristallklaren Ostsee schwimmend Kirchner nur zu gut verstehend, der hier ähnlich glücklich gewesen und sich frei gefühlt haben muss.

Wohlfahrt neu denken.

Wo stehen wir nach dem Lock down mit Kirche, Caritas & co.? Wo stehen wir hier in Schleswig-Holstein? Wir stehen vor wenig. Es ist nicht nichts. Aber es ist wenig.

Es liegt nicht nur daran, dass die Caritas hier im Norden ein kleiner Player ist. Es liegt daran, dass das Geld knapp ist und durch die Coronakrise noch knapper geworden ist. Und es liegt daran, dass noch unklar ist, ob wir auf die aktuellen Zeiten die richtigen Antworten haben.

Und darin besteht gleichzeitig auch die Chance.

Der kleine katholische Campus in Kiel im Krusenrotter Weg mit der Liebfrauenkirche, dem Haus Damiano, einer franziskanischen Weggemeinschaft, dem katholischen Büro, der katholischen Jugend und dem Caritasverband eingebettet in einen hübschen Park mit sehr alten Bäumen und einem großen Teich scheint eine kleine Welt für sich.

Hier wie auch an den örtlichen Caritasstandorten im Land wirft der Lock down die Frage auf, was braucht es eigentlich (noch) an Wohlfahrt in der heutigen Gesellschaft gerade auch mit der aktuellen Pandemieerfahrung.

Was ist zu tun?

Ich bin ohne Agenda nach Kiel gekommen. Ohne Vision. Ich wollte offen sein für alles Neue. Ich wollte mich neu einfädeln in das Bestehende.

Wie gehe ich vor? In meinen ersten knappen vier Wochen erkunde ich im wahrsten Sinne des Wortes die Umgebung. Ich habe die Menschen um mich herum, das Team, die Einrichtungen und unsere Caritasstandorte, gefragt:

  • Was war bislang gut?
  • Was ist reformbedürftig?
  • Was macht die Caritas in Schleswig-Holstein aus?
  • Was braucht sie?
  • Was brauchen die Regionen?

Ich habe gelernt, unser Portfolio besteht aus:

  • Pflege (ambulant und stationär)
  • Kurkliniken
  • einem differenzierten Beratungsangebot bis hin zur Onlineberatung
  • Kitas, Jugendhilfe (stationär) und Eingliederungshilfe (stationär)
  • Fachverbände

Die Caritas im Norden ist Einrichtungsträger, Gesellschafter und Mitgliederverband.

Ich bin jetzt knapp vier Wochen da und habe viele Informationen gesammelt. Ich habe eine Reihe von Einrichtungen besucht, mit vielen Menschen gesprochen, mir ein Bild gemacht, erste Entscheidungen getroffen, die Finanzen studiert.

Konsequent von der Praxis her denken.

Haben die alten Gründer und Gründerinnen der Wohlfahrt am Reißbrett gestanden und die Praxis geplant? Ganz klar: nein! Die Initiativen, Projekte, Vereine entstanden, um Not in ihrer unmittelbare Umgebung zu lindern. Sie entstanden, weil ein Bedarf da war und, weil ein paar Engagierte, häufig Ehrenamtliche, sich zusammen taten, um den Bedarf zu decken. Das Netzwerk vor Ort ist entscheidend. Der Bügermeister, der Kommunalpolitiker, der Unternehmer, der Pastor (oder die Bürgermeisterin, Politikerin, Unternehmerin, Pastorin … )

Was ist der Bedarf in Schleswig-Holstein? Die aktuelle Kinderarmutsstudie der Bertelsmannstiftung hat gerade ein paar alarmierende Zahlen veröffentlicht.

Demnach liegt die Quote in manchen Ballungsräumen doppelt so hoch als der Landesdurchschnitt. Der Bedarf ist also da.

Not sehen und handeln, was tun und was nicht lassen?

Die Antwort ist: wir müssen konsequent von der Praxis her denken. Was braucht die Praxis, damit sie gut arbeiten kann. Was müssen andere Ebenen bereit halten und was auch nicht?

Es ist wieder wie zu den Gründerzeiten der Verbände: Die Aufgabe wird sein, der örtlichen Praxis den bestmöglichen Rahmen zu schaffen und auf der höheren Ebene exakt die Dienstleistungen bereit zu halten, die sie benötigen. Für alles andere ist kein Geld da.

Verbandliches Handeln neu denken.

Am Vorabend meines Geburtstages Anfang Februar begegnete mir die Stelle „Landesleitung Schleswig-Holstein“ in den sozialen Medien (Instagram).

Da mein Mann und ich schon länger mit dem Gedanken spielen, an die Ostsee umzusiedeln, finden dortige Angebote schon mal meine Aufmerksamkeit.

Diese Ausschreibung weckt auch deswegen mein Interesse, weil wir in der Caritas im Rahmen eines Projektes „Verbandliches Handeln neu denken“ festgestellt haben, dass der Landesebene neben der Bundes- und kommunalen Ebene, eine wichtige Bedeutung zu kommt. Die Caritas als kirchlicher Wohlfahrtsverband ist jedoch auf Bistumsebene organisiert und Bistumsgrenzen decken sich, historisch gewachsen, nicht mit den Grenzen der Bundesländer.

Die Länderebene organisieren.

Die Diözesanen Caritasverbände (DiCVe) haben in den Bundesländern unterschiedliche Lösungen entwickelt, ihre Arbeit auf Landesebene zu organisieren. So gibt es in Bayern einen Landescaritasverband, in Niedersachsen ein gemeinsames Landesbüro und in NRW thematisch organisierte Konferenzstrukturen.

Hinzu kommt, dass die DiCVe bundesweit selbst auch unterschiedlich organisiert sind. Es gibt klassische Dachverbände und damit Mitgliederverbände wie es beispielsweise in NRW der Fall ist. Andere sind selbst Einrichtungsträger und bewegen sich dabei sowohl auf kommunaler als auch Landesebene, so in Bayern.

Der Verband in Essen ist ein klassischer Dachverband. Meine Aufgabe in Essen habe ich darin gesehen, ihn zu einem guten Dienstleister für unsere Mitglieder weiter zu entwickeln. Entsprechend haben auch diese strategischen Themen die Agenda bestimmt.

Die ehemaligen Ortscaritasverbände und Diözesan-Caritasverbände im Erzbistum Hamburg sind 2018 fusioniert und unter einem Dach, der Caritas im Norden, zusammengeführt worden. Heute ist der DiCV Hamburg mit Sitz in Schwerin in 3 Bundesländern tätig. Er ist Träger von 180 Einrichtungen und Diensten in 9 Regionen (früher Ortscaritasverbände). 5 davon sind in Schleswig-Holstein: Kiel, Lübeck, Flensburg, Neumünster und Itzehoe. Die Übrigen sind Hamburg, Schwerin, Rostock und Neubrandenburg.

Das Erzbistum Hamburg erstreckt sich also über drei Bundesländer: Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg. Flächenmäßig ist es mit 32.520 Quadratkilometern das größte Bistum. Die Katholikenzahl beläuft sich auf knapp 400.000 und damit ist es im Ranking der 27 Bistümer das siebtkleinste Bistum. In Schleswig-Holstein macht die Zahl der Katholiken 6% an der Gesamtbevölkerung aus.

Von der örtlichen Praxis her denken.

Die übergeordneten Ebenen sollen Dienstleister der örtlichen Praxis sein. Klassisches Subsidiaritätsprinzip: die prinzipielle Nachrangigkeit der nächst höheren Ebene. In der Caritas ist die Verinnerlichung dieser Erkenntnis eine kleine Revolution, denn noch denkt und atmet der Verband wie seine katholische Kirche an vielen Stellen streng hierarchisch. Top Down sticht Bottom up.

Dabei sind die Wohlfahrtsverbände Bottom up entstanden. Kleine, häufig ehrenamtlich organisierte, Initiativen bildeten sich, um Menschen in Not zu helfen. Da diese kleinen Vereine aber oft nicht die Struktur, Ressource und Power hatten, um sich für geeignete Rahmenbedingungen einzusetzen, entstanden Verbandsstrukturen.

Gerade die Coronakrise hat gezeigt, dass die unmittelbare Praxis in den Krankenhäusern, der Pflege, den Kitas und Einrichtungen der Jugend- und Eingliederungshilfe im Mittelpunkt stehen muss. Die Aufgabe der höheren Ebenen ist hier eine dienende Funktion: sich um Schutzmaterialien zu kümmern, Rettungsschirme zu organisieren und mit Partnern auf Land- und Bundesebene Lösungen für jeweils tagesaktuelle Herausforderungen zu entwickeln.

Agil, digital, experimentierfreudig sein!

Mich persönlich hat diese neue Struktur neugierig gemacht und die Verantwortung für die Landesebene, die gleichzeitig auch für die Ortsebene im jeweiligen Bundesland zuständig ist, angesprochen.

Im Projekt gab es noch weitere zentrale Erkenntnisse:

  • Es braucht neue Formen der Themen-Identifizierung und -Bearbeitung: Es gilt zwischen verbandlichen Akteuren schneller, unmittelbarer und intensiver zu kommunizieren. Digitale Instrumente und virtuelle Plattformen sollen systematisch und gezielt eingesetzt werden.
  • Das eine bedingt das andere: Die Erkenntnis, dass die alten Gremien- und Konferenzstrukturen nicht mehr den aktuellen Anforderungen entsprechen führt zu der Empfehlung, Konferenzstrukturen in Hinblick auf Wirksamkeit und Effizienz zu überarbeiten. Dies wiederum kann mit digitalen Tools unterstützt werden. Gleichzeitig ist es aber auch der Hinweis, Teams ebenenübergreifend und nach Kompetenzen zu besetzen.
  • Last but not least und das Gegenteil von abschließend: Verbandliche Entwicklung ist ein permanenter Prozess: Mut zum Experiment haben!

Es geht also darum, Wohlfahrt bzw. Caritas insgesamt agiler, praxisorientierter und digitaler zu entwickeln.

Die Coronakrise hat die Umsetzung der Erkenntnisse beschleunigt: Videokonferenzen gehören nun zu den obligatorischen Tools, die zügige Bearbeitungen ermöglichen. Externe Gesprächspartner können leicht und einfach dazu geschaltet werden.

Es geht im Kleinen wie im Grossen darum wie verbandliche Arbeit sich entwickelt. Die traditionelle Wohlfahrtspflege entwickelt sich weiter. Sparzwänge verändern die traditionelle Arbeit, aber in ihnen liegt auch eine Chance, weil es gilt, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.

Neue Abenteuer wagen.

Wir waren mit Geburtstagsgästen auf der Insel und gegen Mittag brachen meine Freundin und ich mit den Hunden zu einem längeren Spaziergang auf. Wir kehrten in einer Strandbar am Meer ein und philosophierten am Kaminofen in tiefen Ledersesseln über das Leben.

„Was wäre für Dich ein echtes Abenteuer? Ich wurde letztens gefragt, aber mir fiel nichts ein. Fällt Dir etwas ein?“

Ohne zu zögern antwortete ich: „Nach Kiel zu gehen.“ Und dann erzählte ich von der Stelle und plötzlich reifte in mir der Gedanke, dass es interessant sein könnte, diese neue Aufgabe mitzugestalten und zu entwickeln.

Kiel ist nicht Essen. Die oben beschriebenen Herausforderungen sind andere. Der Verband ist in einem Prozess. Ich werde viel zu lernen haben. Vor allem von der Praxis, um zu verstehen, wo meine Kompetenzen und meine Erfahrungen gebraucht werden.

Darauf freue ich mich!

Zum Weiterlesen:

Was ist eigentlich ein Traumjob?

Große Fußstapfen – so ein Quatsch!

Wer führt in die neue Zeit?

Krisenmanagement: Die Konzentration auf das Wesentliche.

Seit gut drei Wochen arbeiten wir nun im Krisenmodus. Seit gut 2 1/2 Wochen überwiegend von zuhause.

Plötzlich funktioniert all das, was wir seit Monaten theoretisch diskutieren:

  • Wir fokussieren uns auf das absolut Wesentliche.
  • Im Mittelpunkt des Handelns stehen die Anforderungen der Praxis vor Ort.
  • Neue Technologien sind selbstverständliches Handwerkszeug.

Vieles fällt weg:

  • Lange Wegstrecken
  • Redundanzen
  • Ergebnislose Sitzungen
  • Endlose Terminsuche

Es ist wie eine Skulptur, bei der der Bildhauer alles Überflüssige weghaut, damit die Schönheit, das Wesentliche, sichtbar wird.

Insbesondere gilt das für unsere Gesellschaft. Es werden diejenigen und das sichtbar, das (System-) relevant ist.

  • Berufsgruppen
  • Institutionen
  • Gesundheit
  • Werte
  • Grundrechte
  • Sozialschutz
  • Umwelt

Krisenmanagement.

Der Tag beginnt mit einer Videokonferenz … würde jetzt stilistisch gut klingen. Stimmt in meinem Fall aber nicht.

Mein Tag beginnt mit einer Tasse Tee und Nachdenken. Es ist früh und die Zeit des Tages, in der ich gedanklich sortiere und ordne, Pläne mache und Ideen entwickle.

Das ist nicht anders als sonst.

Später ist aber der Weg zum Schreibtisch deutlich kürzer und die Meetings knapper. Über den Tag verteilt summieren sich 4- 5 Videokonferenzen. Manche dauern nur eine halbe oder 3/4 Stunde. Andere gehen über den ganzen Nachmittag. Jede dieser Konferenzen hat konkrete Ergebnisse und orientiert sich unmittelbar an dem, was die Praxis braucht. Ein Thema, das immer auf der Tagesordnung stand, sind Schutzmaterialien, denn die fehlen an allen Ecken und Enden. Vor allem in Einrichtungen, die ohne Schutzmaterialien gar nicht arbeiten dürfen.

Die Not fördert den Zusammenhalt. Sie fördert zügige politische Entscheidungen und erfordert ein agiles Agieren wie es für manche von uns eher immer noch ungewohnt ist. Der lange Diskurs entfällt. Das ist nicht nur gut, denn schnelle Entscheidungen sind nicht immer perfekt. Aber jetzt müssen sie sein.

Jede Videokonferenz ist eigentlich ein Krisenstab. Kern ist der Krisenstab, der Unterstützung für unsere Mitglieder organisiert und täglich zur gleichen Zeit zu einem kurzen Meeting zusammen kommt, um die Tätigkeiten im Zeitraum bis zum nächsten Tag zu teilen, zu planen und mögliche Hindernisse im Team zu kommunizieren, um notwendige Aktionen möglichst sofort einzuleiten.Fester Bestandteil ist ebenfalls ein tägliches Videoangebot für unsere Mitglieder zu einem bestimmten Thema.

Hinzu kommt 1-2x die Woche die Videokonferenz mit dem Hauptausschuss der Freien Wohlfahrt NRW, um Aktivitäten auf Landesebene zu bündeln und anzugehen.

Neu ist jetzt ein interministerieller Krisenstab mit dem Land NRW, um Querschnittsthemen zu besprechen.

Unser Corona-Mitgliederservice.

Der Krisenstab für unsere Mitglieder ist ein Arbeitsstab der Geschäftsleitung, der eingerichtet wurde, um Mitgliederbedarfe, die durch die Coronakrise entstehen, zeitnah bearbeiten und lösen zu können. Er unterscheidet sich damit vom internen Krisenstab, der Coronathemen, die die Mitarbeitenden in der Geschäftsstelle betreffen, bearbeitet.

Der Arbeitsstab setzt sich durch die Leitungen der Kompetenzzentren zusammen. Kompetenzzentren arbeiten in der Geschäftsstelle im Sinne einer Matrixorganisation abteilungsübergreifend an Produkten, Dienstleistungen und Angeboten, um Mitgliederbedarfe effizient zu bedienen. 

Die Leitungen der Kompetenzzentren können zur Bearbeitung von Aufgaben auf Teams zurückgreifen. So sollen Themen und Fragen, die durch die Coronakrise aufgeworfen werden, zügig gebündelt bearbeitet werden. 

Formate und Strukturen der Arbeit orientieren sich an dem, was gebraucht wird. Es ist ein lernender Prozess, da die Unmittelbarkeit des Handelns bisher in dieser Weise ungewohnt ist.

Methoden & Arbeitsweise 

  • tägliche Videokonferenzen, die sich an der Daily-Scrum* Methode orientieren
  • Bearbeitung von Einzelanfragen
  • Identifikation von relevanten Themen (z.B. Schutzmaterialien, Kurzarbeit, Liquidität)
  • Transport der Mitgliederanfragen an Entscheidungsträger
  • Feedback & Bedarfsumfragen via Workplace
  • Produkte & Projekte, die Mitglieder in der Krise unterstützen
  • Begleitende Social Media Arbeit (Social Media Team*)

Das Social Media Team ist eine Workplacegruppe, in der Social Media Aktivitäten koordiniert werden. Für die Social Media Arbeit während der Coronakrise wurden 3 Ziele verabredet: 

  • Information (Hilfesuchende)
  • Sozialpolitische Öffentlichkeitsarbeit (Politik, Kostenträger, Stakeholder)
  • Emotionaler Content (Dank aussprechen, Mitgefühl, Seelsorge)

 

Bisherige Ergebnisse & Produkte

  • zeitnahe Information / Echtzeitkommunikation über Lobbyletter & Workplace
  • Hotline für unsere Mitglieder
  • Sicherung des Fortbestands der Dienste & Einrichtungen durch Rettungsschirme auf Bund- und Länderebene durch Lobbyarbeit & Social Media
  • gezielte Einzelberatung
  • Gruppenberatungen/VideoChats zu Kurzarbeit, Liquidität, Werkstätten, Onlineberatung, Schutzmaterialien & Quarantäne, Arbeitsrecht, Betreutes Wohnen, Bundes- und Landesgesetze
  • Übersicht über die Liquidität einzelner Dienste und Einrichtungen
  • Arbeitshilfe Krisenmanagement für die örtliche Pressearbeit 

Was der Arbeitsstab nicht leisten kann:

  • Längere fachliche Diskurse
  • Entwicklung von Produkten & Dienstleistungen, das ist Aufgabe der Kompetenzzentren.

Wie wird die (Arbeits-) Welt nach Corona aussehen?

Um im Bild zu bleiben: wie kann die Schönheit der Skulptur erhalten bleiben?

Die schöne neue Homeoffice-Welt kann und darf nicht romantisiert werden. Denn für viele Menschen sieht die Welt deutlich anders aus. Auch für die Dienste und Einrichtungen der Wohlfahrt, die insbesondere gerade jetzt vor gravierenden täglichen Herausforderungen stehen. Für viele Menschen wird diese Krise einschneidende wirtschaftliche Folgen haben.

Aber vielleicht lehrt uns dieser Shut down im Auge zu behalten, was wesentlich ist. Welche Berufsgruppen existentiell notwendige Dienste für die Gesellschaft tun. Dass es Institutionen braucht wie Krankenhäuser, Pflegeheime, soziale Einrichtungen, die nicht unter dem Druck der Gewinnorientierung stehen, sondern frei und gemeinnützig ihrem gesellschaftlichen Auftrag nachkommen.

Vielleicht ist dieser Shut Down ein neuer Aufbruch für gesellschaftlichen Zusammenhalt, für Sozial- und Gesundheitsschutz, für elementare Grundrechte, Solidarität und Umweltfragen.

Denn diese gesellschaftliche Form, Skulptur, wird es brauchen, um die Folgen der Krise bearbeiten zu können.

Schön wär’s. Allemal.

Agiles Krisenmanagement

Die Vögel zwitschern und die Forsythien blühen. Nach wochenlangem Regen drängt es die Menschen auf die Strasse. Kinder wollen sich mal so richtig austoben.

Und dann das.

Etwas nie dagewesenes passiert.

Ein Ausnahmezustand.

Die Bedrohung ist ein Virus. Ein unsichtbares Etwas, das gerade der globalen Gesellschaft größter Feind wird.

Ende Januar war man in Deutschland noch der Auffassung, dass es kein besonders Risiko für die Bevölkerung gibt, das sieht Stand heute deutlich anders aus.

Die Bevölkerung sitzt überwiegend im Home-Office, die Grenzen werden geschlossen, selbst die Bundesländergrenzen sind nicht mehr freizügig zu passieren und je nach Verlauf, könnte es sogar zu einer Ausgehsperre kommen.

Was ist zu tun?

Es fängt damit an, dass man sich nicht mehr die Hand reicht und beim Händewaschen Happy Birthday singt. Noch gehe ich zu den verschiedenen Events, aber schon mit einem gewissen Abstand.

Es wird unheimlicher.

Aber noch planen wir größere Veranstaltungen, können uns gar nicht vorstellen, dass das Leben stehen bleibt.

Und dann beinahe von einem Tag auf den anderen ist klar:

Das ist ein richtiges fettes Ding, das da unsichtbar auf uns zu rast.

Interner Krisenstab.

Als erstes richten wir einen internen Krisenstab ein. Unser Haus der Caritas im Bistum Essen ist ein Haus der Begegnung. Hier treffen sich gerne viele Gremien, weil es zentral ist. Außerdem sind wir ein Fort- und Weiterbildungszentrum.

Alles steht still.

Abgesagt.

Wird abgesagt das Unwort des Jahres 2020? Auf jeden Fall wird dieser Frühling als der Coronafrühling in die Geschichte eingehen.

Wir Deutschen haben zum Glück immer so einfache Begriffe, wenn wir irgendetwas ordentlich regeln. Zum Beispiel das schöne Wort „Organisationsverfügung“. Das jedenfalls erarbeiten wir und regeln damit die notwendigen Dinge, die unsere Geschäftsstelle betreffen.

Service für unsere Mitglieder.

Die größere Herausforderung ist die Begleitung unserer Mitglieder. Unsere Mitglieder stehen vor enormen Herausforderungen. Es geht darum, die Mitarbeitenden und die Klienten oder Bewohner zu schützen. Es geht um gesellschaftliche Verantwortung. Und um schnöde, aber existentiell wirtschaftliche Fragen.

Wie organisieren wir uns?

Wir wenden (einfach) an, worauf wir uns jetzt schon eine ganze Weile vorbereitet haben: digitale Tools und agile Arbeitsweisen.

Zum Glück sind viele Mitarbeitende entsprechend geschult. Ganz klar ist:

Der Corona-Virus ist ein Beschleuniger digitaler Transformationsprozesse.

Nachdem die internen Dinge fürs erste geregelt sind, mobiles Arbeiten und Homeofficeregelungen, richten wir einen Krisenstab_Mitglieder ein und gehen am

Montagfrüh mit unseren Mitarbeitenden in unseren „DenkRaum“.

Der DenkRaum.

Der DenkRaum ist ein Format, das wir anwenden, um kreativ Probleme zu lösen.

Wir stellen uns drei Fragen:

– Was sind aktuell die größten Herausforderungen für unsere Mitglieder?

– Was sind mögliche Lösungen?

– Was sind die nächsten ganz konkreten Schritte?

MeisterTask.

Mit der App MeisterTask, einer Projektmanagement App, dokumentieren wir die Ergebnisse und richten eine Projektgruppe Kristenstab_Mitglieder ein.

Hier werden wir Mitgliederanfragen abarbeiten: „Offen – in Arbeit – Fertig.“

Workplace.

In Workplace organisieren wir inzwischen das Netz der Caritas im Bistum Essen, um schnelle Kommunikationskanäle zu haben und verschiedene Arbeitsgruppen sowie unsere Diözesanen Arbeitsgemeinschaften in den unterschiedlichen Arbeitsfeldern.

Hier können Gruppen auch unkompliziert Videochats durchführen. Und so richten wir für unseren Krisenstab eine entsprechende Gruppe ein, die unsere Arbeit kommunikativ begleiten wird.

Hotline, Corona-Mail und thematische Videokonferenzen.

Seit heute bieten wir auch eine Hotline für unsere Mitglieder an, das heißt unter einer speziellen Rufnummer oder per Mail können Mitglieder ihre Fragen an uns adressieren. Wir bearbeiten die Anfragen in unserer MeisterTask Gruppe und veröffentlichen die Ergebnisse in unserem Lobbyletter, damit alle daran teilhaben können.

Neu anbieten werden wir themenbezogene Videokonferenzen zu aktuellen Fragestellungen.

Zusammengefasst:

So weit, so gut.

Ich bin gespannt wie alles die nächsten Tage laufen wird. Die gesellschaftliche Herausforderung vor der wir stehen, ist jedenfalls enorm.

Wir lesen uns!

Und bis dahin: Bleibt gesund!

Bücherliste 2019.

Erst ist es eine Aneinanderreihung von Buchstaben,

dann bildet Dein Hirn Sätze daraus,

wenig später stimulieren die Sätze Deine Phantasie,

Bilder entstehen in Deinem Kopf, die Gefühle erzeugen.

Die Gefühle berühren Dein Herz.

Du denkst darüber nach

und lange nachdem Du das Buch schon weggelegt hast,

wirkt es noch in Geist und Seele nach.

Das Gelesene macht etwas mit Dir, es bildet Dich.

Und dann muss es wohl ein gutes Buch gewesen sein.

6 solcher Bücher habe ich in diesem Jahr gelesen. Sie waren meine Top Influencer, um es  neudeutsch auszudrücken.

Die Bücher.

Anni und Alois
– Arm sind wir nicht. Ein Bauernleben.
(Julia Seidl, Stefan Rosenboom)

Anni und Alois sind Bauern. Sie leben seit über 50 Jahren auf einem kleinen Hof im Bayrischen Wald. Sie haben fast nie etwas verändert in ihrem Heim. Sie haben kein Bad, keine Toilette, keine Heizung und keine gepflasterten Wege. Sie haben kein Auto, fahren nicht in Urlaub und leben von monatlich 550 Euro Rente. Nach Abzug der Ausgaben für Telefon, Strom, Versicherungen und Fernsehen verbleiben ihnen 50 Euro für Kleidung und Essen.
Ihr Leben richtet sich ganz nach dem Jahreskreis und so ist auch das Buch aufgebaut. Der Lesende begleitet die beiden auf 204 Seiten durch das Jahr. 

Anni und Alois sind zufrieden, wenngleich der Arbeitsalltag mit zunehmendem Alter eine echte Herausforderung für die Beiden ist.

Noch bevor Greta am Rand meines Horizonts erschien, hat dieses Buch zu Beginn dieses Jahres erste Spuren unterlegt, sensibler zu werden im Umgang mit Ressourcen, die uns zur Verfügung stehen und mehr auf die Einfachheit der Dinge zu schauen.

Wir brauchen die Kälte, sonst erfriert das ganze Ungeziefer nicht und geht kaputt, dann haben wir im Sommer den Schlamassel.

 

 

Mensch und Maschine
– Wie künstliche Intelligenz und Roboter unser Leben verändern. 
(Thomas Ramge)

Seit Aldous Huxleys „Schöner neuen Welt“ oder noch länger fürchtet die Menschheit die Übermacht der Künstlichen Intelligenz.

Dabei haben wir sie selbst geschaffen, so wie wir auch Flugzeuge geschaffen haben, die im Krieg zu verhängnisvollen Auswirkungen beitrugen. 

Die Lektüre verhilft zu einer sachlichen Auseinandersetzung zwischen den übermütigen und den eher ängstlichen Positionen und führt in eine gründliche Befassung mit der Geschichte der KI, die es schon viel länger gibt als mancher glaubt.
Besonders erhellend war mir der Kulturvergleich:

In Europa sind Roboter Feinde, in Amerika Diener, in China Kollegen.

Unterm Strich die elementare Erkenntnis, der Mensch entscheidet, wo er die Assistenz der KI haben möchte und was der Computer ihm niemals abnehmen wird, ist Mensch zu sein.
Was das aber ist, diese Interpretation bleibt uns überlassen und die große Herausforderung es zu leben. Jedenfalls lehrt uns Weihnachten gerade wieder: Der Mensch ist ein göttliches Wesen und der Computer eben nur ein von Menschenhand Geschaffenes. Aber eben manchmal ganz brauchbar.

Network Thinking

– Was kommt nach dem Brockhaus-Denken?
(Ulrich Weinberg)

Meine Begeisterung für dieses Werk habe ich schon in New Welfare: Coole Lern- und Arbeitsorte der Zukunft!   zum Ausdruck gebracht.

Als Erziehungswissenschaftlerin habe ich mich immer wieder mit dem Bildungsbegriff auseinandergesetzt. Dieses Blog ist so entstanden. Bildung anders denken, ist das möglich? Wie können bildungsfernere Kinder Zugänge zu Bildung erhalten? Wie müssen Bildungssysteme gestaltet sein? Das neuseeländische Schulsystem scheint hier gerade ein paar interessante Veränderungen anzugehen wie der Artikel „Bildung: Gebt den Kindern einen Grund zu lernen“ deutlich macht. Feiert Eure Fehler! ist nur einer dieser Maxime, die unserer Lern- und Arbeitskultur gut tun würde.

Wow! Und ungefähr das tut die vernetzte Lernkultur eben gleichermaßen. In unseren Schul- und Arbeitssystemen lernen wir eher Ellenbogen zu benutzen, statt Wissen zu teilen. Vernetzung ja gerne, wenn wir uns dadurch Vorteile verschaffen können.

Wir sind in unseren Brockhaus Schubladen verhaftet. Statt bei A, gleich Z mitzudenken und G auch nicht außer acht zu lassen, sitzen wir im Schächtelchen und arbeiten alles systematisch nacheinander ab, bis wir irgendwann bei Z angekommen sind.

Aber dann hat sich die Enzyklopädie schon aufgelöst, sie wird nicht mehr gebraucht. Und wer von uns hätte das mal geglaubt, dass das passieren könnte? Dass dieses Geschäftsmodell nicht mehr funktionieren wird, ja, dass eine Plattform es ablösen kann?

Entscheidend wird (aber) sein wie gut es uns gelingt, die festgelegten Grenzen im Denken zu überwinden, Fachdisziplinen, Abteilungen, Spezialisten und Experten aus der Abschottung zu holen.

 

Die bessere Geschichte
(Anselm Neft)

 

Missbrauch ist zum Kotzen! Das zeigt uns dieses Buch von Anselm Neft.

Wann und wie liest man ein solches Buch? Genüsslich im Urlaub? Gar am Strand?

Ich habe es im Strandkorb gelesen. Tut es nicht.

Und trotzdem: lest es.

Es ist eine Meisterleistung.

Denn aus der Perspektive des Opfers als Lesender mit zu erleben wie das Kind zu verarbeiten versucht, was für eine zutiefst traumatisierende Tat ihm da von einem Menschen passiert, von dem es nichts anderes erwünscht als endlich anerkannt zu sein.

Und dann in dem Innenleben dieses erwachsen werdenden Menschen zu verbleiben und zu erfahren, wie er die Kindheitserlebnisse verarbeitet.

Mir ist bei der Lektüre mehr als einmal schlecht geworden. Denn Missbrauch ist zum Kotzen.

Theodor Fontane
Die Biographie.
(Regina Dieterle)

 

Noch bevor ich begreife, dass wir in diesem Jahr den 200. Geburtstag von Theodor Fontane begehen, um genau zu sagen, gestern, springt mir auf einem Büchertisch seine Biographie ins Auge, die just zu diesem Anlass heraus gegeben wird 

Was weiß ich eigentlich über Theodor Fontane? Effi Briest, Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland, Der Stechlin fällt mir so auf Anhieb ein, aber viel mehr dann auch nicht mehr.

Das 700 Seiten starke Buch wird zu meiner Haupturlaubslektüre im Sommer und ich bin fasziniert von dem Werdegang des Schriftstellers, dessen Meisterleistung und sein ganzes Können in seinem letzten Werk seine Vollendung finden.

Eine ausgezeichnet recherchierte Biographie, der es gelingt, Fontane selbst zu widerlegen, der in seinen Erinnerungen das eine oder andere Mal falsch liegt. Fake News würde man wohl heute sagen.

Aber auch die Einordnung des Menschen in die damalige Zeit, das Zeitgeschehen selbst oder die detaillierte Entwicklung seiner Schreibkunst sind hervorragend gelungen, so dass ich es von der ersten bis zu letzten Seite spannend fand.

Die Erkenntnis, dass die Eisenbahn die erste globale Vernetzungsmöglichkeit bedeutete und weitreichende Zugänge ermöglicht, ist selten so gut beschrieben, weil gerade die Mark Brandenburg darunter litt, dass Orte dort spät oder gar nicht angebunden wurden.

Im fortgeschrittenen Alter erkennt Fontane, dass die alte Welt im Verschwinden begriffen ist und eine junge, liberal denkende Generation dabei ist, das Zepter zu übernehmen. Mit seinen späten Werken findet er sich im Kreise jüngerer und junger Autoren und gilt als Spitze der Erneuerer.

Die Welt war im Umbruch, das zeigte sich in allen Bereichen, in Politik und Wirtschaft, Technik und Verkehr, Wissenschaft und Bildung sowie in der Kultur.

 

Die Welt von gestern
(Stefan Zweig)

Hier knüpft das Werk von Stefan Zweig quasi nahtlos an. Stefan Zweig war 16 Jahre alt als Theodor Fontane starb. Das Bildungssystem lehnt er bereits als zu einengend ab.

„Kein Lehrer fragte ein einziges Mal in acht Jahren, was wir persönlich zu lernen begehrten.“ Die Meinung des Lehrers galt als unfehlbar, unter der Schulbank wurde verschlungen, was wir heute als Weltliteratur bezeichnen (und damals als nicht kontrollierbares Wissen galt), weil der Unterricht so langweilig war. Und die Schüler brachten sich quasi selbstorganisiert im Diskurs lernend voran.

Das Jahrhundert, in dem er geboren wurde, bezeichnet er als eine „geordnete Welt mit klaren Schichtungen und gelassenen Übergängen, eine Welt ohne Hast. Der Rhythmus der neuen Geschwindigkeiten hatte sich noch nicht von den Maschinen, von dem Auto, dem Telefon, dem Radio, dem Flugzeug auf den Menschen übertragen.“ … „Es war das goldene Zeitalter der Sicherheit.“

Und die Hoffnung auf ein geeintes Europa war vielleicht in dieser Zeit realistisch gewesen als er von Wien als einer Metropole sprach, die „alle sprachlichen Gegensätze in sich harmonisierte, seine Kultur eine Synthese aller abendländischen Kulturen; wer dort lebte fühlte sich frei von Enge und Vorurteil.“

Wir konnten reisen, ohne Pass und Erlaubnisschein, wohin es uns beliebte, niemand examinierte uns auf Gesinnung, auf Herkunft, Rasse und Religion.“

Mein persönliches Fazit.

In den zufällig zusammen gewürfelten Büchern zeigt sich, dass Bildung ein Kernthema unseres menschlichen Daseins ist.

Lebensnotwendige Ökosysteme wie (nicht nur) Anni und Alois sie brauchen, um ihre Existenz zu sichern, sind eine Frage von Kompetenz, Bildung und Wissen.

Digitales Lernen und Künstliche Intelligenz stellt uns vor neue Herausforderungen, das alte Brockhausdenken zu verlassen und quer zu denken, Wissen zu teilen, sich zu vernetzen und gemeinsame Lernkulturen zu fördern.

„Die bessere Geschichte“ zeigt, wie Systeme (macht-) missbräuchlich genutzt werden, um krankhafte Neigungen auszuleben.

Fortschritt bringt Veränderungsnotwendigkeiten und viele Vorteile. Die Eisenbahn bedeutete Vernetzung, Zugänge, Mobilität und Globalisierung. Das Eisenbahnnetz ist symbolhaft mit dem digitalen Netz, dem Internet, zu vergleichen.

Die Welt von gestern, die schon mal ziemlich fortschrittlich war, haben wir durch technischen Fortschritt in zwei Weltkriegen als Menschheit ganz schön zerstört. Stefan Zweig war zu müde, sie ein zweites Mal wieder mit aufzubauen und beging in Brasilien Selbstmord.

Jetzt sind wir dran. Uns für den Zusammenhalt und ein geeintes Europa und Weltgeschehen zu engagieren und dabei unseren Planeten nicht zugrunde zu richten.

Die Weihnachtsbotschaft fordert uns auf: Machs wie Gott, werde Mensch.

Das ist doch mal ein guter Vorsatz für das neue Jahr.

Weitere Bücherlisten.

Wer führt in die neue Zeit?

Es gab beim SozialCamp noch nie so viele Sessions rund um das Thema Führung und es waren (gefühlt) noch nie so wenige Führungskräfte da.

In der letzten Session „Der Tanz geht weiter …“ mit @BenediktGeyer und @foulder haben wir Bilanz gezogen und festgestellt, dass wir vor dem ersten SozialCamp (ever) noch diskutiert haben, welche sozialarbeiterischen Themen denn nun wohl auf die Agenda kämen: Migration, Behindertenhilfe, junge Menschen … , um dann festzustellen, die Menschen wollten frickeln. Sie wollten programmieren, Codes entwickeln, Social Media ausprobieren. Beim nächsten Mal ging es dann um Alexa & co.

Aber jetzt sind wir einen Schritt weiter. Wir sprechen zwar noch über digitale Transformationsprozesse und diskutieren wie wir solche Prozesse am besten aufsetzen, gleichzeitig reift die Erkenntnis, es geht nicht (nur) um die Implementierung von Projekten, die eine IT-Abteilung hinter einander oder parallel für die nächsten 20 Jahre abwickelt.

Es geht um Kulturveränderung.

Weil die Welt sich ändert, müssen wir unsere Organisationskultur hacken. Agilität ist eine Frage der Haltung, der Sprache, der Formalitäten, der Organisationsgestaltung und -kultur.

Wohlfahrtsarbeit ist wieder eine Bewegung.

Die Themen liegen damals wie heute auf der Straße: zunehmende Armut, Naturschutz, Fremdenhass, Politikverdrossenheit. Und dennoch gelingt uns Wohlfahrtsverbänden kaum der Schulterschluss. Dabei sind wir ein Pfund in dieser Gesellschaft. In der Verfassung verankert konnten wir per Subsidiaritätsprinzip mit dazu beitragen, dass in der Wirtschafts- und Finanzkrise das Soziale die Marktwirtschaft und den sozialen Frieden stabilisierte.

Wohlfahrtsverbände sind mehr denn je gefordert, sich auf ihre Wurzeln zu besinnen, unkompliziert, also flexibel oder neudeutsch agil, auf gesellschaftliche Herausforderungen zu reagieren und innovative Wege zu gehen. Das hat Tradition und setzt doch ein grundsätzliches Umdenken voraus, denn die Zeit der Füsten-(tümer) ist vorbei.

Wie kann das gehen?

Grüne Wiese vs. traditionelle Wohlfahrt

Georg (@staebner) von helpteers und ich sind in unserer Session der Frage nachgegangen, ob eine Organisation auf der grünen Wiese neu aufgebaut werden muss oder ob ein interner Prozess ähnliche Wirkungen erzielen kann.

Im Beitrag über MeisterTask, CariEhre und unsere coolen Sekretärinnen habe ich schon darüber berichtet, warum ich froh bin, die Geschäftsstelle nicht auf der grünen Wiese neu aufstellen zu müssen.

Purpose.

Aber ein paar Aspekte sind uns sehr wichtig. So zum Beispiel die Frage, warum gibt es uns eigentlich? Was macht uns so einzigartig?

„Was können wir besonders gut und tun wir leidenschaftlich gerne? Für welche Überzeugungen stehen wir ein? Welche Probleme dieser Welt lösen wir?

Welche Werte schaffen wir für unsere Kunden?

Mit welchem Leitthema können wir Top-Talente für uns gewinnen?

Was gibt uns Entwicklungsspielraum in zukünftige Richtungen?

Steht der Purpose fest, kann er für alle unternehmerischen Entscheidungen als Filter dienen. Er zeigt dem Management und allen Beteiligten,

welche Rahmenbedingungen adäquat sind – und welche nicht, welche Art Vorgehen zu initiieren ist – und welches nicht, welchen Typ Mitarbeiter man haben will – und welchen nicht, welche Partner eine Bereicherung sind – und welche nicht, für welche Kunden man tätig sein will – und für welche nicht.“

(Quelle: Purpose statt Leitbild – wie Unternehmen sich neu erfinden müssen.)

In der Caritas im Bistum Essen haben wir uns zusammen mit unseren Mitgliedern auf drei inhaltliche Themen verständigt, die unser Profil beschreiben:

a) Ruhrgebietsstrategie: bessere Rahmenbedingungen für die Menschen in der Ruhrregion schaffen;

b) Digitalkompetenz: unsere Fach- und Führungskräfte im Verband digital kompetent zu machen und

c) Caritasorte als (neue) Kirchorte.

Neben den inhaltlichen strategischen Themen gibt es strukturelle Strategien:

d) Stärkung der Mitgliederbeteiligung und die

e) Entwicklung einer agilen Geschäftsstelle.

Wie kann das gehen, ohne alles auf den Kopf zu stellen? Ohne die gute Qualität und viele hervorragende Leistungen zu gefährden?

Agilität und Innovationen konsequent leben. Wenn Systeme erstarrt sind, Gremien keinen Sinn und Zweck mehr haben, bereit zu sein, zu hinterfragen. Was dient dem Purpose, was nicht.

Anpassung des Portfolios.

Es wird ein beständiger Aushandlungsprozess bleiben. Was sind unsere Kernkompetenzen und – aufgaben und was brauchen unsere Mitglieder? In diesem Jahr, im nächsten Jahr und in Zukunft. Es wird sich beständig anpassen müssen. Gleichzeitig muss es von den Beschäftigten auch leistbar sein, also gilt es kontinuierlich im Abgleich zu bleiben, mit den Beschäftigten und den Mitgliedern.

(Kreativ-) Räume schaffen.

Eigentlich muss es heißen, Freiräume zu schaffen. Räume, in denen wir experimentieren, lernen und entwickeln können. Ein Raum ist dafür extra als Lab eingerichtet und ein Format namens DenkRaum lädt zweiwöchentlich zu einem 2stündigen MiniBarCamp ein.

Wir kommunizieren mit Workplace, einem internen sozialen Netzwerk und Messengern. Über MeisterTask organisieren wir virtuell wie an einem Riesenboard alle gemeinsam unsere Öffentlichkeitsarbeit. Kompetenzzentren arbeiten als Matrixorganisation quer zur Ablaufstruktur. Und dennoch, wer glaubt, es geht ohne Führung, irrt. Vieles wird selbstorganisierter gehen, aber es wird weiterhin die Überblicker brauchen, nur, dass diese ihren Führungsstil verändern müssen. Sie geben Orientierung, sind Coaches, ermutigen, lassen Experimente zu. Sind Mitgestalter.

Im Einzelnen sind unsere Prozesse auch in unserem Jahresbericht nachzulesen.

Aber klar ist, Agilität ist kein Selbstläufer. Es muss gestaltet und vorgelebt werden. Es bedeutet Kulturwandel und die Verabschiedung von vielen alten Zöpfen.

Sehr geehrte Damen und Herren … sag mal, hallo?

Kommunikation und Zusammenhalt sind vielleicht der Schlüssel zum Erfolg. Schneidet die alten Zöpfe endgültig ab und kehrt den Staub aus Euren Amtsstuben. Informelle Ansprache, munteres Diskutieren im Intranet, verhaltet Euch nicht mächtig, sondern machtvoll, indem ihr eure Möglichkeiten für eine agile Zukunft einsetzt. Gesellt Euch unter die BarCamper und lernt von ihnen. Sie sind der Garant für Zukunftsfähigkeit.

Es kommt jetzt also auf Euch an, Leader der Wohlfahrt!

Weitere Infos zum SozialCamp

Zum Welttag der Armen: Wohlfahrt muss manchmal lästig sein.

Die katholische Kirche feiert morgen zum dritten Mal den Welttag der Armen. Der Tag wurde durch Papst Franziskus angeregt, denn tätige Nächstenliebe gehört zum Kernauftrag des Evangeliums. Der Platz der Caritas ist an der Seite der Armen.

„In den Armen finde ich Gott.“ sagte die heilige Elisabeth, deren Gedenktag wir am 19. November begehen. Elisabeth gab, was sie besass, um es mit den Bedürftigen zu teilen und erbaute bereits mit 21 Jahren ein Hospital.

„Elisabeth fiel auf. Was da in Marburg passierte, überstieg jedes Verständnis. Sie wollte die Forderungen der Heiligen Schrift, von Christus geboten, wörtlich erfüllen.“

Günter Berghaus

Sie war keine sanfte Heilige. Ihr wurde über die Zeit sogar vorgeworfen, dass sie eine Vorläuferin des Sozialismus sei. Ihre Tätigkeit hat sicher sozialreformatorische Bedeutung wie die vieler katholischer Männer und Frauen, die sich über die Jahrhunderte für bessere Bildungs- und Teilhabechancen engagierten.

Auch heute wird der Kirche manchmal vorgeworfen, sie mische sich zu sehr in politisches Geschehen ein. Aber das gehört zu ihrem Auftrag. Dabei ist sie jedoch nicht parteipolitisch. Aufgabe der Caritas ist es, darauf zu achten, dass sich der Auftrag des Evangeliums erfüllt. Umgekehrt ist es Aufgabe der Parteien zu bestimmen wie stark sie sich dem Auftrag des Evangeliums verpflichtet fühlen.

Elisabeths Vorbild steht dafür, dass Kirche sich einmischen muss. Es ist ihr Auftrag auf Missstände hinzuweisen und auf bessere Rahmenbedingungen für benachteiligte Menschen hinzuwirken.

Wenn die Lebensverhältnisse der Menschen existenzsicher sind, steigt auch das Interesse an Bildung und Demokratie. Deswegen legen wir als Caritas schonmal den Finger in die Wunden, wenn Gesetze für Kinder und Jugendliche, Menschen mit Behinderung, arme, kranke und alte Menschen diesen Anforderungen nicht entsprechen.

Es stärkt den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft, dass wir Teil einer lebendigen Zivilgesellschaft sind und uns für die Megathemen unserer Zeit, die Zukunft der Pflege, der Arbeit, von der man leben kann, leistbaren Wohnraum, oder Anliegen wie Kinderarmut und Altersarmut engagieren.

“So ist es unsere Berufung, ein Feuer zu sein, das sich in kleinen Funken versprüht und alles anzündet, was ihm unterwegs an Brennbarem begegnet.”

Madeleine Delbrêl

New Welfare: Coole Lern- und Arbeitsorte der Zukunft!

In die Zukunft geträumt.

Am Anfang steht doch in jedem Fall eine Vision, oder?

Ein Bild wie es in Zukunft sein soll.

Nein, so war es nicht.

Am Anfang stand eine Suchbewegung.

Eine Frage.

Wie nur sollen wir die aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen meistern? Die Megatrends, die Gegenwart und Zukunft so gnadenlos aus dem Konzept bringen: Migration, Digitalisierung, fehlender Zusammenhalt, Altersarmut, das auseinanderbrechende Europa, der Vertrauenslust der Kirche …

Braucht es dafür nicht einen Club of Rome der sozialen Arbeit? Menschen, die sich mit diesen Fragen befassen, diskutieren, experimentieren und sie weiterentwickeln.

Und wenn es Fakt ist, dass Gesellschaft sich so massiv verändert, wie gestalten wir dann in Zukunft die soziale Arbeit?

Wie reagieren wir blitzschnell auf neue Herausforderungen?

Wir leben in einer Zeit, in der große Wissensmengen generiert, koordiniert, organisiert und genutzt werden sollen.

Wie formieren wir unsere Organisationen?

Vernetztes Denken setzt eine völlig neue Lernkultur voraus.

Ein erster Versuch einer Antwort: Gründen wir doch einfach ein LAB! Kernpunkt des Gedankens: Es braucht ein neues (Bildungs- ) Institut, das nach neuen Regeln arbeiten kann, damit es in der digitalen Welt, in der es hauptsächlich agieren wird, erfolgreich ist.

Aber wie?

Aber wie lassen sich diese Herausforderungen mit traditioneller Wohlfahrtsarbeit verbinden?

Wir probieren es aus!

Der Caritasverband im Bistum Essen rangiert im bundesweiten Durchschnitt etwa auf Platz 10 der 27 Diözesan-Caritasverbände. Er gliedert sich in 10 lokale Ortscaritasverbände. Seine Mitglieder haben rund 35.000 Beschäftigte. Die Träger sind in der Regel Zusammenschlüsse von großen Einrichtungen der Behindertenhilfe, Krankenhäuser, Altenhilfe, Kinder- und Jugendhilfe bis hin zu Pfarreien.

Wissen und Fertigkeiten jederzeit und bedenkenlos zu teilen – das wird die Arbeitshaltung der Zukunft sein.

Streng hierarchische Strukturen geben dazu nicht mehr den passenden Rahmen ab.

Er gehört zu den klassischen Spitzenverbänden der Freien Wohlfahrtspflege und ist selbst kein Einrichtungsträger.

Die Geschäftsstelle ist im bundesweiten Durchschnitt eher klein. Es arbeiten 60 Beschäftigte in drei Abteilungen und 3 Stabsstellen zusammen. Diese kleine Belegschaft hat die gleichen Aufgaben wie größere Diözesan-Caritasverbände zu tun, die teilweise bis zu 100 Beschäftigte mehr haben. Denn die Diözesan-Caritasverbände arbeiten nach einer Mustersatzung des Deutschen Caritasverbandes.

Gleichzeitig ist der Caritasverband im Bistum Essen ein Verband, der zentral im Ruhrgebiet angesiedelt ist, einer Region, die von einer Studie der Bertelsmannstiftung gerade zur Armutsregion Nr. 1 definiert wurde.

Der Sprint.

Im Rahmen von drei strategischen Workshops haben wir uns Anfang 2018 zusammen mit dem Caritasrat, den Gliederungen und Mitgliedern sowie unseren Diözesanen Arbeitsgemeinschaften auf den Weg gemacht.

Entscheidend wird sein wie gut es uns gelingt, die festgelegten Grenzen im Denken zu überwinden, Fachdisziplinen, Abteilungen, Spezialisten und Experten aus der Abschottung zu holen.

Wir haben uns für einen Zeitraum von 2 Jahren bis 2020 auf sechs strategische Themen verständigt, die uns auf dem Weg leiten sollen. Davon 3 thematische Linien:

  • Die Ruhrgebietsstrategie
  • Caritas und Pastoral
  • Sozial braucht digital

Und 3 strukturelle Themen:

  • Zusammenwirken im Dialog (Satzungsreform)
  • Fachlich stark! Politische Arbeit unserer Diözesan-Arbeitsgemeinschaften
  • Entwicklung einer agilen Geschäftsstelle, die Mitgliederbedarfe im Rahmen ihrer Kernkompetenzen zügig bearbeitet.

Projektgruppen arbeiten an der Umsetzung und haben gute Fortschritte erreicht. Die definierten Meilensteine und Projekte werden systematisch abgearbeitet und überprüft.

Das Aufsichtsgremium, der Caritasrat, hat in seiner Klausur im Februar 2019 bestimmt, dass er sich eine Geschäftsstelle wünscht,

  • die Trends und Innovationen erkennt,
  • Übersichtsgeber ist
  • Change-Kompetenz hat,
  • Lobbyist für sozialpolitische Themen ist,
  • als Dienstleister arbeitet und die den
  • Steuerungswillen im Rahmen ihrer Möglichkeiten wahr nimmt.

Cooler Lernort.

Ein wesentlicher Akt lag in der Definition unserer 7 Kernkompetenzen, die unser neues Portfolio bilden. Diese werden zukünftig in Kompetenzzentren organisiert, um die Synergien, die durch Kollaboration entstehen, zu nutzen.

Eine gelebte Vernetzungskultur bedeutet einen klaren Vorteil gegenüber Unternehmen mit konventioneller Orientierung.

Die Kompetenzzentren wirken in den Gesamtverband mit seinen strategischen Themen und Diözesanen Arbeitsgemeinschaften und wieder zurück. Es entstehen weitere externe Kompetenzzentren und so webt sich das Wabenbild in die Gesellschaft und gestaltet mit.

Die Dynamik der Vernetzung erzeugt permanent Veränderung, der Wandel ist ihnen nicht Auftrag, sondern Merkmal.

Also pressen wir unser neues Portfolio nicht in eine starre Struktur, sondern bilden Kompetenzzentren, in denen Mitarbeitende und Externe bei Bedarf und Anfrage mitwirken. Und die Kompetenzzentren wirken ineinander, ergänzen sich und bilden das Gesamte.

Das sind Kennzeichen einer neuen Art Wirtschaft und damit Gesellschaft zu begreifen. Das ist unsere zentrale Aufgabe bei der Gestaltung einer postdigitalen Gesellschaft.

Dazu passt, dass Lernen und Wissensbildung seit ein paar Jahren im Umbruch ist. Die Bewegung #FridaysforFurture lehrt uns gerade, welche neuen Formen Lernen annehmen kann und vor allem wie es Spass macht!

Die Zukunft von Wohlfahrt liegt darin, Plattformen zu bieten, die Wissen und Geld organisieren, (neue) Geschäftsmodelle entwickeln, Kommunikation sicher stellen, Experimentierräume bieten und einfach coole Lernräume sind, die Lust machen Caritas und soziale Arbeit zu fördern und weiter zu entwickeln.

Die Zitate oben stammen aus – NetworkThinking – was kommt nach dem Brockhaus Denken? von Ulrich Weinberg.

 

Gesellschaft 4.0 – Wie wollen wir leben? (nach der Disruption)

Der Begriff  „Disruption“ leitet sich von dem englischen Wort „disrupt“ (zerstören, unterbrechen) ab und beschreibt einen Vorgang, der vor allem mit dem Umbruch der Digitalwirtschaft in Zusammenhang gebracht wird. Bestehende traditionelle Geschäftsmodelle, Produkte, Technologien oder Dienstleistungen werden immer wieder von innovativen Erneuerungen abgelöst und teilweise vollständig verdrängt.

Eine disruptive Innovation erneuert nicht nur bestehende Strukturen und entwickelt sie weiter, sondern sie bewirkt eine komplette Umstrukturierung beziehungsweise Zerschlagung des bestehenden Modells. (Quelle: Gründerszene)

Das Phänomen der Disruption wirbelt unsere geordneten Strukturen, Prozesse und Organisationen gerade ganz schön durcheinander und wer im Spiel bleiben will, kann auch nicht umhin, sich auf die revolutionäre Denkweise einzulassen und in Frage zu stellen, was bislang richtig schien.

Politisch scheint das, was geschieht, noch kaum begriffen zu sein, denn dort wird mit alten Denkmodellen wie Industriepolitik oder Sozialismus gekämpft. Im Hintergrund läuft eine technisch-ökonomische Revolution ab, die weitreichende Auswirkungen auf unser Zusammenleben haben wird. Deren Folgen bleiben in Deutschland weitgehend ignoriert.

Gleichzeitig wackeln auch andere Grundfesten unserer Gesellschaft. Das Friedens- und Freiheitsprojekt Europa zerfällt, den Kirchen wird ein erheblicher Mitgliederschwund prognostiziert und der gesellschaftliche Zusammenhalt ist mehr denn je durch steigende Armut gefährdet.

Menschen protestieren.

Menschen protestieren. Aber nicht gegen sondern für eine zukunftsfähige Gesellschaft.

Einfach so weiter machen geht nicht mehr.

Frischer Wind muss durch die heiligen Hallen. Erneuerung ist angesagt.

Ein Hauch der 70er Jahre scheint zurückgekehrt zu sein.

Vielleicht auch, weil unerledigte Hausaufgaben wie Sexualmoral, Umweltfragen, Feminismus und zweites vatikanisches Konzil einfach nicht gemacht wurden.

Die Menschen gehen knapp 50 Jahre später wieder für die gleichen Fragen auf die Straße. Das zeigen Protestbewegungen wie

Fridays for Future, 

Maria 2.0, und 

Wir sind mehr.

In welcher Gesellschaft wollen wir leben?

So weiter machen wie bisher, kann also nicht mehr die Antwort sein.

Erneuerung ist angesagt.

Es geht längst nicht mehr nur um das Label Innovation, das man irgendwo drauf klebt, um Förderungen zu erhalten.

Es geht um eine grundsätzliche Neuausrichtung unseres Denkens und Handels, ja, unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens.

Die Pionierzeiten sind vorbei. Es geht um die komplizierte und gleichzeitig auch schlichte Frage:

In welcher Gesellschaft wollen wir denn zukünftig leben?

Dafür braucht es einen Diskurs.

Wir müssen die alten Restfragen der 70er schnellstens lösen, denn sie behindern das Nachvornedenken.

Wir brauchen zukunftsgerichtete Kirchen und Sozialakteure, die gesellschaftliche Nöte in Angriff nehmen und ethische Fragen beantworten.

Ökologische Fragen sind längst nicht mehr nur Fragen des Naturschutzes, sie sind Fragen des guten Zusammenlebens, der Bildung und der sozialen Teilhabe.